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LUX NIGRA - Knottel muß leben

Ed Benndorf

Es macht sich in Berlin ein Rudel alternder Kinder breit. Sie vermischen gutmütig Erinnerungen vergangener Spielzeugtage mit Freuden unabänderlich digitaler Zeiten. Die Rede ist von den expliziten Poplabels: u.a. City Center Offices oder Morr Music.
Darunter, und das ist gut und wichtig, ist in den letzten Jahren ein Label gewachsen, das sich dem vielleicht vordergründigen Anspruch obiger Labels entzieht und in gewisser Weise dem Grauen hinter der lieblichen Fassade einen kleinen Ausguck verschafft. Die Rede ist von LUX NIGRA, das 1998 vom Meersburger Peter Gebert gegründet wurde und uns die Perlen "Biophilia Allstars", eine breite Facette elektronischer Soundtüftler aus u.a. Chemnitz, Hampton, Karlsruhe, Essen, Los Angeles, Hampton, Hämeenlinna, Ulm, Tokyo, Chiba, und Nagoya auf 2LP, Frederik Schikowskis einzigartige 10" "Mein kleines Pony" oder die wunderschöne compilation EP "knottel remixed" bescherte.
LN fühlen sich zwar in der Riege obiger Labels wohl, Gebert legt aber besonderen Wert auf die Unterschiede: "Mir geht's nicht um Pop. Ich war eigentlich auch nie Popfan. Ich mag durchaus konzeptionelle Ansätze, Durchgeknalltes / Originelles, und ich hab's ausserdem gern, wenn's rockt (und das geht bei mir durchweg über den Beat). Ich finde mich in sowas wie Ikedas "Time" oder in der "Klick" [Max Ernst] sehr wieder. Und für mein Label wünsch ich mir, dass die Platten 'ne Weile halten, also dass ich bei denen nicht sage 'toll', sie aber nach zwei, drei Mal hören in den Schrank stellen muß, weil sie sich nicht festbeißen. Das hat natürlich die Auswirkung, dass es Musik mit zugänglichen Elementen einfacher hat bei mir als sagen wir so was wie RLW; aber das ergibt sich nicht daraus, dass ich Pop im Sinne von angenehmer, aktuell hipper und cooler Alltagsmusik machen möchte. Dann müßte ich vielleicht auch mit populäreren Künstlern arbeiten (mal von meinem Zugpferd Uwe [aka Arovane bzw. Nedjev] abgesehen), und nicht mit neuen Namen (Frederik, als die "Pony" erschien, Zorn, Blätter Artificial Duck Flavor) oder mit jemand, der grade an seinem comeback arbeitet (Biochip)."
Dieser Liste müssen unbedingt die Projekte Blackjewishgays und Multipara angehängt werden, die beide bisher fast ausschließlich auf LN-compilations veröffentlichten [Einschub: gerade frisch kamen zwei Bretter der Blackjewishgays im Eigenvertrieb!] und denen sicherlich auf keinem rigorosen Pop-Label nur eine Sekunde ihres speedglitchcore bzw metalpunkshithairnoise gewährt würde. Hier deutet sich dann auch schon der auf den ersten Blick vielleicht versteckte Unterschied an:
LN birgt den Hang zum Noise, zwar in kleiner, sehr niedlicher Form, aber hier und da tauchen neben den lieblichen und herzzerreißenden Melodien und Beats Tracks auf, die sich nicht richtig kontextualisieren lassen oder zumindest etwas haltlos im LN-Universum herumschwirren. Wirft man nun einen zweiten Blick auf das Artwork der LN-Cover, fängt sich an, der tiefe Abgrund hinter den offensichtlichen Heimeligkeiten aufzutun. Auf Frederik Schikowskis "Ich möchte mich zusammenfalten und nur noch eine Mitte sein" sitzt der Musiker allein, introvertiert und Zigaretten rauchend im eigenen 70er Avantgarde-Retro-Interieur, auf Biochips "Silent Running" wandert ein putziger Gonk einsam im keimfreien Antiraum, auf der split von Nedjev und A.D.F. kommt die Schönheit der abgelichteten Forsythien durch ihre Grobpixligkeit auch nur mit gehöriger Nostalgie rüber und auf den 7- und 12"-covern der "Pocket Monster Remixe" löst sich unser Lieblingshaustier pikachu sukzessive in zelluläre Digitalia auf. LN offenbaren mit dem starken Einfluß Destruktion im animierenden Coverartwork, dass hier etwas vermißt wird, sie verweisen auf den Mangel an etwas, in das wir in unserm Lande alle (im Westen) hineingeboren wurden: die vermeintlich heile Welt (urgh..), sie wurde unwiderrufbar zurückgelassen und vor uns türmt sich der Abschaum der Großen auf mit all ihren vergilbten Wahrheitsansprüchen, geplanten Lügen und zersetzender Eitelkeit. Diesem natürlich nur teilweise protzenden Scheißhauskosmos drehen LN den Rücken zu und setzen dem eine Freude an Harmonie entgegen, die eher einer durch Erfahrung zersetzten Hoffnung gleicht als dem belanglosen Lächeln vieler bloß aufmunternder Popper. "Im Grunde stehen diese verlorenen Knuddelobjekte für Kinder, die in die Welt der Erwachsenen entlassen werden, Verlust der Unschuld usw. und verweisen damit direkt auf die Generation der Käufer und natürlich derer, die die Musik machen, und Berlin ist ja voller Erwachsener, die nicht im landläufigen Sinne erwachsen werden wollen. Die Generation, für die das gilt, so die ab Mitte der 60er Geborenen, sind die ersten, die als Kind in einem richtigen Kinderkulturuniversum aufgewachsen sind, jedenfalls in Deutschland. Deshalb steht für diese Generation diese nostalgische Rückbesinnung zur Verfügung, von Ministeck und C64 bis zu den Drei Fragezeichen." Ob hier ein Fern- oder Heimweh thematisiert wird, bleibt zu erkunden. Das permanente Hier und Jetzt entschwindet aber kurzzeitig in der Projektion eines Woanders, wo sich Vieles einfach besser abspielt, der Fingerzeig auf die stets mit Unzufriedenheit befrachtete Zukunft aber gleichzeitig für Auge und Ohr Thema bleibt.


Diskographie:
lnv01 VA: Biophilia Allstars 2x12" 10/1998
lnx02 Lux Nigra / Aktuelle Kamera T-Shirt 06/1999
lnv03 VA: No Movement no Sound no Memories - Removed 12" 07/1999
lnv04 Frederik Schikowski: Mein kleines Pony 10" 10/1999
lnx05 Lux Nigra / Turkish Airlines T-Shirt 04/2000
lnv06 VA: Pocket Monster Remixes 12" 04/2000
lnv07 Frederik Schikowski: Ich möchte mich zusammenfalten und nur
noch eine Mitte sein 7" 11/2000
lnv08 Zorn: Tower Park 12" 07/2000
lnv09 Biochip C.: Silent running 12" 11/2000
lnv10 Anodyne / Napalm: Pocket Monster Remixes Gotta Catch'em All 7" 12/2000
lnp11 11/99 5"cd xx/xxxx
lnv12 Nedjev / Artificial Duck Flavour: Heofonrice 12" 11/2000
lnv13 VA: Knottel Remixed 12" 02/2001
lnv14 Zorn: The City's Collapsing (but not tonight) 2x12" 05/2001
lnp14 Zorn: The City's Collapsing (but not tonight) 5"cd 05/2001
lnp15 Biochip C.: 2001 5"cd 11/2001
lnv16 VA: Karl Marx Stadt 12" 08/2001
lnv17 Biochip C.: Sunblocking 12" 11/2001
lnv18 Blätter: Leaves 12" 11/2001
lnv19 Rockin' Pony: Hello 12" 12/2001
lnx20 Lux Nigra Lighthouse T-Shirt 10/2001
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