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FUTURAMA
Die etwas andere weakly soap – und was wir daraus lernen können

Hagen Hopf
Zugegeben – ich bin ein Fernsehhasser, war es immer, werde es bleiben. Schlingensief‘s „U-3000“ auf MTV kickt schon mal, kenne ich ausnahmsweise mal das arte-Programm im voraus, bringt es die Versuchung schon ein Stück näher, meist bleibt es aber beim Versuch. Ohne -ung.
Trotzdem ein wenig schade – 10 Jahre Simpsons verpaßt läßt sich nicht nachholen, aber vielleicht muß es das ja auch nicht.

Informationsgesellschaft. Informationsflut. Es ist doch schon unglaublich, wie mit der Fülle des Angebots offensichtlich auch das Vermögen wächst – in gewissen Grenzen – dessen habhaft zu werden, hoffentlich ohne daß dabei das Genau-Hinsehen/Hinhören-Können so langsam abhanden kommt.
Ich für meinen Teil habe erst im Jahr 2000 die Entdeckung des Mediums Video nachgeholt, oder besser, jene für mich zugelassen. Das basiert auf Interesse, Personelles und Gelegenheiten wie das Ausleihen eines altersschwachen Videorecorders beim Unter-Mieter. Wichtiger dafür waren jedoch Dateienformate wie *.mpeg und *.avi, kursierende CD’s mit den jeweiligen Lieblingsfilmen und natürlich das Internet. Was brachte mir das Ganze? Der Mehrfachgenuß, wohl noch frei von Übersättigungserscheinungen, führte dazu, einige Filme wirklich zu kennen und auch schon mal, so wie Johnny Depp’s durchgeknallter filmischer Bruder in „Arizona Dream“ (selbiger mittlerweile ja auch als ambivalenter Musiker Vincent Gallo ein Begriff) ganze Filmsequenzen mitzusprechen und den eigenen Zitatenschatz um einige sinnlos-sinnvolle Sprüche zu ergänzen. Und es brachte einfach noch einmal eine ganz andere Form an Beschäftigung, wahrscheinlich gerade rechtzeitig, nachdem der Graben der 30-Jahre-Grenze durchschwommen war (ohne darin ersoffen zu sein), ohne dass die Entdeckung eines Bierbauchansatzes, eines gesteigerten Nikotinkonsum und – als möglicher positiver Nebenaspekt – einer ausgeprägten Soulröhre dabei die einzigen Entwicklungen gewesen sein können. Oder gestehe ich mir eine mit dem Erwachsenwerden einhergehende gewachsene Infantilität ein, die sich bei anderen Menschen mit einem gewachsenen Zeitvertreib beim Computerspielen, dem Gebrauch von Cityrollern und bei mir in einer (wieder)entdeckten Vorliebe für Zeichentrickfilme äußert?

Nun liegt der Fernsehstart der Serie ja bereits über zwei Jahre (U.S.A.) bzw. über ein Jahr (D) zurück, doch war gerade (wie gewohnt) die erste Staffel am aufschlußreichsten und bot unter anderem interessante Einsichten darüber, wie die Sprache und nachträgliche Bearbeitung eines Films dessen Charakter verändern bis verfälschen kann.

Der Macher des Cartoons ist auch der Vater der Simpsons, jener schwarzhumorigen, white-trashigen und so gänzlich gegen das Wunschbild der heilen Welt einer (US)amerikanischen Kleinfamilie gerichteten gelbhäutigen Sippe (Präsident George Bush: "Americans should be more like the Waltons and less like the Simpsons."): Matt Grayning, dessen leibliche Eltern im übrigen Homer und Margaret heißen. Bei der Geburt des Comicstrips Futurama spielte neben einer biographischen bedingten Affinität zu Science-Fiction-Romanen sicher der Fakt eine Rolle, dass die Simpsons einfach mal zu lange am Ball waren und trotz des gleichbleibend guten Witzes ein etablierter Bestandteil einer Durschnittsabendunterhaltung eines Durchschnittsfernsehzuschauers geworden sind. Aber diese Zukunft steht ja Futurama ganz bestimmt auch bevor.
Die Choreographie der Serie war im Übrigen lange Zeit nicht recht nach dem Geschmack des auftraggebenden Senders FOX und es bedurfte stundenlanger Diskussionen mit Managern und Verantwortlichen, ob beispielsweise die Darstellung öffentlicher Selbstmordzellen dem Publikum zugemutet werden konnte, bevor die Serie letzlich ohne Änderungen auf Sendung gehen konnte.
Der Cartoonist Groening bezeichnet sich selbst als Alt-Hippie, so trägt wohl auch die Figur des Hardcore-Vegetariers Free Waterfall Jr. in der Folge „Problems with Popplers“ offensichtlich autobiographische Züge Groenings – und wird kraft seines überzogenen Sendungsbewußtseins beim Versuch der Errettung eines Orang-Utans vom nichtirdischen Omycronier-Boss verspeist. Eine subtile Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit (wie wär’s, Joschka?) und ein verfrühter Vorgriff auf den Inhalt.
Die in der Titanic mokierten überdirekten Bezüge und Zitate zu literarischen Sci-Fi Klassikern (Isaak Asimov, Philip K. Dick, Robert Sheckly) und die Übernahme filmischer Ideen von Douglas Adams bis Woody Allen, die mir selbst nur bruchstückhaft bekannt sind und zwar die genaue Sachkenntnis jedes einzelnen Zitat-Hintergrundes missen lassen, wohl aber nicht den Spaß am Film verderben, halte ich demzufolge für weniger kritikwürdig. Klar wird schnell Groenings erklärtes Ziel, das Ambiente der Star Wars & Trecks zu verwenden, jedoch die universalen Probleme nicht mit Militarismus und New Age Spiritualität, sondern „slightly subversive“ zu lösen.
Ob die Sendung aus Gründen der mangelnden Kenntnis von Hintergründen der Komik, seien es die des literarischen und filmischen des Sci-Fi oder einfach die der (US) amerikanischen Medienkultur, nun auf Pro 7 mehr oder weniger floppt, soll hier, wie bereits vermerkt, nur randlich interessieren. Groening wünscht sich ein aufgewecktes Publikum und setzt eine gewissen Sachkenntnis voraus. Zitat, Zitat: „Die Serie belohnt Zuschauer für das genaue Hinsehen. Nur ein Zuschauer, der viel kennt und viel gelesen hat, versteht alle Gags.". Oder aber, die klassische Simpsons-Taktik: im Film verbergen sich mehrere Ebenen von Humor, eine für die kids und eine für die adults.
Meine heimische Satellitenschüssel ist ohnehin Pro 7-resistent und meine bisherigen Informationsquellen für Futurama-Episoden waren über Umwege meist die Webseite von Lando‘s Stinking Hole (also nur im O-Ton) und später auch deutsche Fernsehaufzeichnungen. Das schuf Vergleichsmöglichkeiten und und brachte verblüffend-erschreckende Ergebnisse.

Bereits bei der Übersetzung der einzelnen Episodentitel gingen immense Mengen an Sprachwitz und stilistigen Wendungen verloren. Aus dem schnöden „Love's labors lost in space“ wird ein herrliches „Begegnung mit Zapp Brannigan“, „A fishfull of dollars“ wird zum „Das Geheimnis der Anchovis“, die Sartre-Anspielung „Hell is other robots“ zu „Ein echtes Höllenspektakel“ und auch die Public Enemy Adaption „Fear of a robot planet“ läßt sich nicht mit Witz ins Deutsche übertragen. Schade, wirklich schade. Weiß nicht, irgendwie klingt das alles nach Frösi oder Atze.
Weiter geht es natürlich dann in der Übersetzung der Dialoge. Das schöne Wortspiel killbots wird im Deutschen zum akkuraten „Killerroboter“ gemacht, ein klassisches „You suck!“ eines von Zapp Brannigan genervten Crewmitglieds zum blöden „Du Idiot“ degradiert, der jackass wird zum „Esel“. Auch Bender’s Ur-Zitat „Bite my shiny metal ass“ fällt der wortwörtlichen Übertragung ins Deutsche in gewisser Weise einfach zum Opfer.
Meines bescheidenen Erachtens nach wird die amerikanische Fassung hier einfach zu einem ziemlich banal wirkenden Kinderzeichentrickfilm degradiert, der dann aber trotzdem, wegen der nicht zu vermeidenden explicity, im Spätprogramm gezeigt werden muß.
Die Stimmen der deutschen Synchronisatoren haben mir den Spaß an der einheimischen Fassung aber nun endgültig verdorben. Leela klingt auch nicht annährend so biestig-schnippisch wie es ihrem Charakter entsprechen würde, Fry nicht annähernd so naiv und Bender auch nicht die Spur so prollig wie im Original (und singt zu allem Übel auch noch amerikanische Folksongs mit deutschem Akzent..). Aber das ist wohl ein Problem deutscher Synchronisationen überhaupt. Doch warum in aller Welt bekommt Leelas indischer Chef einen klar romanischen Akzent aufgedrückt (als gäbe es hier keine Inder) und Hermes, der Jamaikaner, gar keinen Akzent? Bei aller Flachheit dieser Comedy-Show könnte sich ja in solchen Fällen auch mal ein Beispiel an „Erkan & Stefan“ genommen werden. Geht nich, oder? Selbstverständlich nicht vermeidbar war der Effektverlust, den Auftritte der Köpfe von Prominenten wie Pamela Anderson oder Leonard Nimoy mit ihren Originalstimmen in Futurama haben.

Den Inhalt der mir bekannten zwei Staffeln resp. 33 Folgen Futurama auch nur ansatzweise wiederzugeben würde den Rahmen dieses Artikels sprengen und in intergalaktischen Staub übergehen lassen. Außerdem wird inzwischen ein jeder oder eine jede wenigstens in die Serie hineingeschnuppert haben und mir den belehrenden Ton übelnehmen. Um nun aber wirklich auch allen gerecht zu werden, wenige Sätze zur Story, die nach einem klassischen Sci-Fi-Muster gestrickt ist: Junger Mann aus der Jetztzeit (und dort gewaltig auf der Verliererseite) wacht nach jahrelanger BOFROST-Aufbewahrung in der Zukunft auf und es gelingt ihm zumindest einigermaßen, die Wiederholung seines jämmerlichen Schicksals zu verhindern, ohne daß sich der Plot einer rührigen „Geschichte des kleinen Mannes“ wirklich verändert. Aber es ist die Zukunft und der nun eben mit den gleichen Zukunfts-Stereotypen wie sein Schöpfer Groening aufgewachsene Fry verbindet seine ordentliche Anstellung im durch und durch zivilen Cargo-Unternehmen „Planet Express Ship“ zunächst einmal mit „going to flight trough space, fighting monsters and teaching alien women to love“. Mit Hilfe seiner vortrefflich entwickelten zivilisatorischen Teilblindheit werden ihm jedoch nur Teile dieser Illusion in der futuramen Realität genommen, was nicht immer auf das Verständnis seiner allgemein eher frustrierten und desillusionierten Partner Leela und Bender aus dem 31. Jahrhundert stößt. Futurama lebt wie auch die Simpsons von den überzogenen Charakterdarstellungen seiner mitwirkenden Zeichentrickfiguren (letzteres ist schon nach kurzer Zeit vergessen, so real werden fiktive Figuren sonst bei mir selten...), welche an dieser Stelle auch nicht breitgewalzt werden soll. Da hilft eben nur Selbst-Sehen. Meine ausgesprochenen Favouriten sind in diesem Sinne der narzißtische Cpt. Kirk-Verschnitt Zapp Brannigan, der wohl trotteligste villain der gesamten Zeichentrickfilmgeschichte und sein grüner, zwar ewig genervter doch grotesk unterwürfiger Adjutant Kif, findet mensch doch im realen Leben so viele schöne Beispiele für die Arten Mensch ... ähm, Alien.
Aufgewertet werden die fiktiven Figuren noch durch den bereits erwähnten Auftritt prominenter Gestalten des 20. Jahrhunderts, deren sprechende Häupter – denn Fleisch ist vergänglich - im „Head Museum“ in artgerechten Kleinaquarien für alle Ewigkeit aufbewahrt werden. Dies jedoch nicht ausschließlich zu Anschauungszwecken, wie beispielsweise die Kandidatur Richard Nixon zur Präsidentschaftswahl 3001 zeigt. Hm, echter Realitätsbezug also in der, (ähm ...wissenschaftlichen) Fiktion. Weil ich in fast keinem der Quelltexte darum herumgekommen bin, hierzu also auch noch Groenings Standardzitat: „Futurama is real. The Simpsons are fictional. However, The Simpsons are still on a thousand years from now. With original episodes.“

Dann gilt es noch auf einige, die Leser und Leserinnen dieses Journals wohl besonders interessierenden Themenkomplexe hinzuweisen, mit denen sich die Futuramisten beschäftigen und die in der Serie kräftig auf die intergalaktische Spaceschippe genommen werden:
Drogen (das war Spaß). Musik kommt zum Tragen in Form des nicht so gänzlich genialen, aber eingängigen Titelthemas sowie in Form von Zitaten und Anspielungen. Die Beastie Boys bzw. deren rappende Köppe kommen in der Folge „Hell is other robots“ zum Auftritt und reagieren auf die Begeisterungsausrufe ihres Verehrers Fry „Wow, I love you guys. Back in the 20th century I had all five of your albums“ lakonisch mit: „That was a thousend years ago, now we got seven.“ In Dantes Roboterhölle gibt es noch eine schöne Persiflage auf Broadway-Musicals und empfehlenswert ist auch Hermes‘ Sunshine-Reggae Einlage in „How Hermes requistioned his groove back“.
Neben Werbung und monopolistischen Geschäftsunternehmen, deren skrupellose Inhaber Mom, Joe McGillan und die Slurm-Queen dann auch die tatsächlichen und ernstzunehmenden Bösewichte der Serie verkörpern, spielen Fernsehsehserien, soap in soap, eine Schlüsserolle in Futurama: die bereits erwähnten „Simpsons“, „Sanford & Son“, „All my Circuits“(die erste Serie für Mensch und Roboter), die Kochsendung „Essence of Elzar“ und letztlich „Single Female Lawyer“, eine fiktive 20th Century Serie, die von bösartigen Außerirdischen Jahrhunderte verspätet empfangen wird und deren dilettantische Rekonstruktion durch die Filmhelden zur Errettung der Welt führt (Querverweis zu „Contact“).

Letztunendlich: Die Message. Groening gibt sich bescheiden. „It's a small group of characters who don't fit into the legislated community of the future. (...) Life in the future has often been depicted as militaristic or at least heavily regimented under some sort of strong authority. Futurama presents a civilian society dominated by commercial interests with plenty of winners and losers.“. Aber der (aufklärerische) Teufel in Gestalt Matt Groenings steckt eben im Detail verborgen und wird nicht wirklich so offensiv wie teilweise in den Simpsons in Erscheinung treten können. Was nicht vor falschem Verständnis und ggf. Mißbrauch schützt. Doch dazu noch einmal der Meister selbst: „Bart Simpson has also been appropriated by skinhead Nazi youth groups, and it's a thrill to be able to kick their asses based on copyright infringement“.

Auf der Suche nach einer tiefsinnigeren Gesamtaussage der Zeichentrickserie kristallisiert sich zumindest schnell Folgendes heraus: Die Zukunft wird, wie wäre es anders zu erwarten, noch komplexer, komplizierter – und beschissener - als die Gegenwart. Wer da überleben will, braucht vor allem eins: Die Naivität Frys, die Coolness Leelas, die Abgebrühtheit Benders, die Genieverrücktheit Hubert Farnsworth’s, den flippigen Bürokratismus eines Hermes Conrad, den knackigen Griff Dr. Zoidbergs und die Gefräßigkeit Nibblers. F.U.T.U.R.A.B.I.L.I.T.Y.

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