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Dada aus dem Leben

Henning Kraudzun & Alexander Pehlemann
„Trottel, Tölpel, Tolpatsche, Pechvögel und Schlappschwänze; Marion Gräfin Dönhoff bricht am frühen Vormittag zu Roß aus Danzig auf. Der Vielfraß macht sich aus Bromberg auf den Weg. Neben Lauenburg in Pommern faßt er sie“ (1)

Ironie ist ein Wort, das sich gerne verbiegen lässt. Am Ende weiß man dann nicht mehr genau, in welche Richtung es geht: als spöttelnde Persiflage gedacht für die anderen oder als beißender Selbstzweifel an die eigene Adresse gerichtet. Bei dem Verein, der sich als „Polenmarkt – Bund der polnischen Versager“ im April des Jahres 2000 in das Berliner Vereinsregister eintragen ließ, ist es dann im ersten Augenblick auch diese humorvolle Selbstironie, die durchblinzelt. „Anfangs war das mit den Versagern ja auch ironisch gemeint – bis wir dann merkten, dass wir tatsächlich welche sind“, sagt Tomasz Sosinski, der sich im Verein um das Organisatorische kümmert.

„ Der Verein fördert die Kommunikation zwischen Menschen, die sich im weitesten Sinne mit künstlerischem Schaffen beschäftigen und wendet sich insbesondere an diejenigen, die an ihrem Ort und in ihrer Zeit fremd stehen; zumal an die Geringgeschätzten, Übersehenen oder gar Verachteten.“ §2 pt.2 der Satzung des Vereins

Bis heute haben sich die meisten der zehn Mitglieder des Bundes mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen, die in den seltensten Fällen etwas mit ihrer Qualifikation zu tun hatten. „Viele im Verein sind schon vor dem Fall der Mauer nach Westberlin gekommen und mussten sich in dem völlig anderen System neu orientieren.“, sagt Tomasz. Tiefschläge inbegriffen, versuchten sie dann dennoch, das beste aus der Situation zu machen, diese positiv zu wenden, eine Nähe zu den „Glücklichen Arbeitslosen“ ist unverkennbar und bezeugt. Man fand zueinander, als Musiker, Dichter, Dramaturgen, Literaturkritiker und Lebenskünstler, zuerst als lockere Gruppe, jetzt in festeren Strukturen – „als Ballung von Leuten, die irgend etwas mit der polnischen Kultur zu tun haben.“, sagt Lopez Mausere, Dramaturg und Dichter. Der war nun auch schon zum PolenmARkT zu Greifswald als Gast vor Ort, zur Session mit den Underwater Agents und den alten Kumpels von Milosc, besonders dem alten Gdansker Freund Tymon Tymanski, einzig originales Milosc- Mitglied (bezieht man dies auf die eingeladene Bandformation), einem ganz und gar nicht als Versager agierenden Künstlertypus, eher ein zu den „Menschen des Erfolges“ gehörender, einer jener „Spezialisten“, von denen die ironische Rede geht: „alles was sie tun, tun sie bestens“. Einer, der sich auch zu verkaufen versteht (um im Gegenzug eventuell „Freiheit“ zu kaufen). Der Lopez´sche Auftritt war dann eher eine Demonstration des Versagens als Chance, des offensiv zu zelebrierenden Mißtrauens in die Kunstform Lesung, des Verweigerns als Prinzip.

„...7. Es wird auch verboten, darauf zu bestehen, Lohn, Entgelt oder Honorar für die Aktivitäten zu verlangen, die darin bestehen, eigene Werke oder Projektionen öffentlich zu machen... Natürlich kann man darüber diskutieren, sämtliche Für und Wider erwägen. Doch, versucht mal, in eure Herzen hineinzuhören. Und? Nicht wahr? Irgendwie unschön.... 9. Gehen wir also davon aus, dass „Es“ (Gedicht, Gemälde, Komposition u.ä.) keine Ware ist, so dass die Grundsätze, die für einen Handlungsreisenden gelten, von uns nicht angewendet sollten...“
Aus den Konfitüren- Anordnung und Richtlinien für den Bund der polnischen Versager in Berlin

Als Vordenker des Vereins mögen die Literaturbeflissenen unter ihnen gelten, die vor fünf Jahren eine eigene Zeitschrift gründeten: „Kolano“ – das Knie. Seit Jahren versuchen Leszek Oswiecimski und der befreundete Piotr Mordel in jenem „halbliterarischen und unkultivierten“ Vereinsblatt das „versagerische Schaffen“ in die neoliberale Welt einzuschleusen. Gedichte in Polnisch und Deutsch, Kritikertexte und skurrile Grafiken fordern auf den gedruckten Seiten, Versager mit Nachsicht zu behandeln, die hier zitierten Texte entstammen allesamt der Publikation. Anfänglich brachte man „Kolano“ im Monatstakt heraus, dann erschien das Blatt mit abnehmenden Geldmitteln unregelmäßig. Heute müssen selbst die Autoren ihre Zeitschrift mitfinanzieren
Leszek war auch derjenige, der sich begrifflich auf die Spur des Versagens machte und dem Bund eine inhaltliche Form gab. „Das mit dem Versagen ist zwar ein semantisches Spiel, es bringt aber auch Wahrheiten hervor.“, sagt er. Wenn man es ins Polnische übersetzte, käme das Wort „Nieudacznik“ heraus; jedoch sei dies ein Wort, das erst nach dem Ende des Sozialismus in den polnischen Medien auftauchte. Politiker würden jetzt so genannt, gesellschaftliche Absteiger – alle, die den Erfolgsdruck nicht aushielten. Und die „polnischen Versager“ wollen genau den Weg abseits des Turbokapitalismus beschrieben, wollen sich ihre Zweifel erhalten, sensibel und scheu sein. Ihre Wortspielereien zeigen weniger Dada aus dem Osten, sondern aus dem Leben.

„... Leute, für die die Idee des „versagerischen Schaffens“ eine Grundlage für die uneingeschränkte, von kulturellen und gesellschaftlichen Imperativen unabhängige Realisierung der individuellen Interessen und metaphysisch-gesellschaftlichen Ambitionen bildet.“ (2)

Diese Idee braucht Orte. Zum Einen hat die Truppe der „Versager“ mit dem „Polenmarkt“ oder „Kowalski tritt Schmitt“ die letzten zwei Jahre je einen ganzen Tag auf der Steglitzer „Deutsch- Polnischen Woche“ bespielt, um dann dort vom Bizarren ins Intellektuelle zu gleiten, was am Nachmittag als „Konzert nur für Hunde“ begann, lief über experimentelle Filme und zweisprachige Lesungen auf ein schwermütiges Theaterstück und das eigenwillige Schlusskonzert hinaus. In Berlin- Steglitz war jedoch das Interesse der Hunde gering: nur einer erschien zum Konzert. „Sie hätten es aber verdient, da sie nie über kulturelle Aktivitäten informiert werden.“, erklärt der für den musikalischen Part im Verein und am Saxophon verantwortliche Adam Gusowski. Chance verpasst.
Versagt hat man dennoch nicht richtig, denn die beiden Festivals waren ein Erfolg, zumindest nach herkömmlicher Wertung. „Obwohl wir vieles improvisiert haben, schienen die Verantwortlichen im Steglitzer Kulturamt immer zufrieden.“, sagt Tomasz. In dieser Hinsicht habe man sich dann schon Gedanken gemacht, ob der Erfolg wiederum nicht ein Versagen sei. Ein Mittelweg – das wäre wohl das Beste für den Verein. Dennoch habe man dort ein erklärtes Ziel der „Versager“ wenigstens für einen Tag erreicht, denn viele Landsleute fanden den Weg in die Schwartzsche Villa und spürten, dass sich da so etwas wie eine zweite Schnittstelle für polnische Kultur in Berlin – neben dem Kulturzentrum – wortgewaltig andeutete. Derzeit leben über 30.000 Menschen mit polnischem Pass in der Hauptstadt, soweit jedenfalls die offiziellen Zahlen, ob auch die zahlreichen polnischen Punks im Friedrichshain da mitgezählt wurden, geht aus der Statistik nicht hervor.

„Die negative Erfahrung aus der Beobachtung, daß die Kunst ihre differenzierenden Eigenschaften, die darin bestehen, die Interessen des einzelnen Menschen zu vertreten, einbüßt und den Ideen und Praktiken des kollektiven Lebens unterliegt, ließ uns radikale Schritte unternehmen.“ (3)

Diese neue Schnittstelle nun ist in der Berliner Torstraße entstanden, die Ecke boomt gerade in dieser Hinsicht, in einem ehemaligen Laden, wo sich die „polnischen Versager“ seit Sommer einquartiert haben. Im September eröffneten sie dort den eigenen Kulturort und konnten sich bis jetzt immer auf ein Programm am Wochenende einigen: Filmabende, Lesungen und Vorträge in Räumen, deren Atmosphäre zwischen einem gemütlichen Lesezimmer und dem Halbfertigen einer Galerie schwankt. Es bleiben aber auch die Abende im benachbarten „Kaffee Burger“, wenn eigenwillige Prosa auf polnischen Jazz im besten Sinne trifft, oder eben auf Yass, wie das in neu-polnischer Spiel- wie Schreibweise heißt und wofür eben auch Tymon Tymanski´s Milosc (in Originalbesetzung) stand und ging, auf Bühne bzw. im um Punk in Free- Form wiss- fühlendem Groove. Nicht zuletzt ist ihre satirische Sendung „Gaulloires Golana“ auf SFB 4 eine feste Größe im Programm. Und im Laden könnte bald mehr passieren, wenn Adam, Tomasz, Lopez, Piotr und die anderen mal auf einen Nenner kämen. Denn ihre wöchentlichen Treffen sind Krisensitzungen: eine horrende Miete drückt; auf Veranstaltungen können sich die Mitglieder erst nach zähen Diskussionen einigen; zudem lahmt die Organisation des Vereins. „Aber auch wenn wir uns immer streiten, einigt uns dennoch das gemeinschaftliche Versagen“, sagt Lopez.
Natürlich ironisch gemeint.
Meint man meinen zu können.

„ Es ist also die Zeit gekommen, die Unreife und die Schlamperei zu gestehen. Man darf keine Angst mehr haben, `vom Herzen her zu Sprechen` sogar dann, wenn nur lauter Dummheiten daraus kommen, denn in der immer mehr abstrakten Welt muß um jeden Preis ein lebendiges, menschliches Wort erschallen.“ (4)

Zitate 1,2,3 & 4 aus einem die Frage des Archetypus Versager untersuchenden Text von Herman von Vitoldo, der da vom „Balkan-Typus, nach E.M.Cioran“, „Mitteleuropäischem Typus“ und der „polnischen Frage“ erzählt, nicht ohne auf C.G.Jung zu verweisen. In Kolano #15, in der Übersetzung von teb-leg [:“die vorliegende Übersetzung, ein Versagen, wurde selbstverständlich nach den Regeln der Kunst (im Sinne des Artikels) angefertigt“]

Das Manifest der „Versager“ im Internet: www.polnischeversager.de
Die Versager können in zwei Formen unterstützen werden: „Tolpatsche den Tolpatschen“ oder „Menschen des Erfolges den Menschen des Exzesses“. Zwei Formen, ein Konto.

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