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BAD MONEY DRIVES OUT GOOD

Bert Papenfuß
“Der Staat kann es nicht dulden,
daß der Mensch zum Menschen
in einem direkten Verhältnisse stehe;
er muß dazwischentreten
als – Mittler, muß – intervenieren.“ (1)

Kommunikation, im folgenden auch Verkehr genannt, braucht Erfahrung und Ausdruck, Reflektion und Tradition – Literatur speziell: gravierende Erfahrung, gespannte Ausdrucksstärke, geflissentliche Beugung und eine möglichst häretische Tradition; Musik im besonderen: Intonationstrübung, Durchklang und Mikroton, um nicht allzu störend glatt rüberzukommen. Pop-Musik in ihrer Gesamtheit ist eine ohrenbetäubende Stille; die Popkomm das Schweigen im Tann der Sendemasten, Kabelstränge und einsamen Kommunikationssatelliten; das Geräusch der Einschaltquoten, das schmatzende Glitschen schmieriger Pfoten. Prostituierte, Schmarotzer, Zuhälter und Schmeißfliegen trösten sich über das Schmoren des Mehrwertes hinweg. Subtanzmangel und Inhaltsdürre schlagen auf die Literatur; Versagen kitzelt Verzagen. Schlichte Berichte darüber, daß man nichts erlebt hat, geschweige denn eine Erfahrung gemacht hätte, und auch nicht in der Lage war, sich was einfallen zu lassen, verschandeln die Landschaft der fallenden Buchpreisbindung. Die Nichtigkeiten der Telekommunikation nehmen sich zwischen Buchdeckeln besonders platt aus. Die konturelle Ausdünnung der Produktgestaltung will ich hier nicht erörtern; was ins Auge geht, geht auch auf die Augen. Der Anblick von Menschen, die in die hohle Hand quatschen, ist grauenerregend genug, und die Anzugsordnung der betroffenen Patienten erst recht. Das Runterschrauben der Oberflächlichkeit zum Zwecke gehobener Verkäuflichkeit hat Grenzen. Sell-buy, sell-buy, sell-buy, sell-buy; buy-sell: Beiß in den Meißel! Schlechtes Geld gibt sich leicht aus.

Hat der künstlerische Niederschlag des vermittelten und somit eingeschränkten Verkehrs wirklich mal ein paar Kanten und Ecken, versucht man, ihn mit Kultstatus zu verklickern. Allzu zingarese Anklänge verschrecken die Hostessen. Rückgriffe in die Popularkultur der Anfangszeit der Massenmedien sind hinterhältigen Zecken vorbehalten, die nichtsdestotrotz, und somit deswegen, die Toten auf ihrer Seite haben. Matrosen wachsen Seebeine, Vorzimmerkrüppel haben keine, mit denen sie sich umtun könnten, oder gar Leine ziehen, wenn die Nase arm dran ist. Ruch gerät über Anruch zu Geruch. Wer ins Schwittern kommt, weiß unter uns Bescheid: MERZ rules com. – KOTS comes later. Der Old School-Wortgespinstler Jörg Burkhard erwies sich bei seinem Sondergastspiel im Rahmen der dienstäglichen „Verbrecherversammlung“ im Kaffee Burger, anläßlich dessen er aus seinem „Großen Roman“ (www.engstler-verlag.de/engbuch.html) las, als der Wortkaskadeur, Eskapadeur, Eskaladeur und Eskamoteur, der er schon immer war. Helm ab! Seit über zwanzig Jahren bastelt er am Gelde, das er als „General Electric Language District“ interpretiert, und hat sein Auskommen fernab allen Bewendens. Ich habe einen Mitschnitt seines elektronisch-literarischen Traktierens, den er „General Electric Language Dump“ nennt, er macht sich jedenfalls nicht ins Hemd. Ihr habt Geld kommen und gehen gesehen. Reichsmark, Deutsche Mark, Mark der Deutschen Notenbank, nur noch Mark, Forumschecks, noch mal Deutsche Mark, Knochengeld, Euro. Kein Geld liegt auf der Tasche, spornt die Ausgabe, Auflage erledigt Aufgabe. Sell-buy, sell-buy, sell-buy, sell-buy; buy-sell: Beiß in den Meißel! Schlechtes Geld gibt sich leicht aus. Ins Gesicht, ums Gedicht, ans Gericht! Bad money drives out good in Popkomm traffic jam.

Wenn ich heute Trainingshosen, Volleyballschuhe und Turnhemd anhätte, würde ich eine neunköpfige Formation namens „Ich“ gründen, die Auftritte und Platten hießen jeweils „Meins“. Die Vorgruppe und die Afterplattenreiter rekrutierten sich natürlich aus „Ich“, hießen „Gegenseitige Hilfe“ und machten „Ihrs“. Sonnenbrillen dürften nur nach Vorlage eines ärztlichen Attestes getragen werden, sogenannte elektronische Musik bedürfte eines Jagdscheines; in allen Fällen, Ausfällen und Ausnahmefällen gälte die Doktrin des Rock von Pomp nach Punk und zurück. Namen müssen Verpflichtung sein, ohne Vorschreibung, aber mit möglichst komplexen Hintergedanken. Max Stirners Bahnbrecher „Der Einzige und sein Eigentum“ (siehe auch: http://www.d-d-online.de/max-stirner-archiv-leipzig) sollte eigentlich „Ich“ heißen, einer anderen Quelle nach „Ich und Meins“. Der Leipziger Verleger Otto Wigand bewegte Stirner zu dem Titel „Der Einzige und sein Eigentum“, der schon Generationen von Übersetzern zu schaffen machte. (2) Das Buch erschien im Herbst 1844, wurde aber auf 1845 vordatiert, um eine Beschlagnahme durch die Zensurbehörde zu erschweren. 1910 erschien eine russische Übersetzung von Leo Kasarnowski (Maks Štirner. Edinstvennyj i ego dostojanie. Perevod pod redakciej I. A., S.-Peterburg, 1910) in einer Auflage von 5000 Exemplaren, davon einige wenige mit dem Aufdruck: „MAKS ŠTIRNER. JA I MOE. S.-Peterburg. 1909.“ Für die Vermittlung eines Exemplars dieser Ausgabe wäre ich dankbar, soweit bezahlbar – wozu ist schließlich das Zwischennetz da. Sell-buy, sell-buy, sell-buy, sell-buy; buy-sell: Beiß in den Meißel! Schlechtes Geld gibt sich leicht aus. Ins Gesicht, ums Gedicht, ans Gericht! „Bad money drives out good” sagte schon der selige Thomas Gresham (1519 – 1579), dessen Standardschwarte mir gerade nicht vorliegt.

„Im Umlauf sind die schlechten Stücke,
Die guten hält man selbst zurücke.

Jawohl, mein Lieb – es klingt zwar spanisch, –
Der Geldumlauf er treibt mechanisch
Die guten Stücke mehr und mehr
Aus Umlauf, Wirtschaft und Verkehr.
Das ist der Spruch, den glattgedreht
Zu Zeiten der Elisabeth
Tom Gresham prägte wohlgemut:
BAD MONEY, sprach er, DRIVES OUT GOOD.“ (3)

„Im Umlauf sind die schlechten Stücke,
Die guten hält man selbst zurücke.“ – wie gesagt.

Nikolaus Häfner schreibt ebenfalls keine Gedichte, sondern Essays, Traktate und Pamphlete. Seine verdaulichen Essays „Apeironen als Urgrund der Welt“ und „Naturgesetze, Absichten und Bewußtsein“ erschienen in der Zeitschrift „GEGNER“ (www.basisdruck.de/gegner). In Vorbereitung zur Publikation befindet sich sein logisches und entschieden sensibles Pamphlet „Meine Ethik“, das in absehbarer Zeit im BasisDruck Verlag erscheinen wird. Am 29. August 2001 trat er mit seiner Beat-Combo „Starcastle Export“ (www.starcastleexport.de) im Kaffee Burger auf. Das Spektrum der nachgespielten, nachempfundenen und neuerfundenen Gassenstampfer war beruhigend vorgeburtlich. Meine Tochter Leila Gorek, die Anfang der neunziger Jahre mal in Nikolaus verliebt war, veröffentlicht gerade ihre Nachtlebenserinnerungen unter dem Titel „Schlafen kannst Du, wenn Du tot bist“ (www.heel-verlag.de/start_reality.htm). Leila und Nikolaus sind Avers und Revers des selben Pfundes, mit dem der Staat über unsere Köpfe hinweg wuchert. Fluch dem Staat! Der real existierende ist eine Schmackazie, die im Falle des Aufbegehrens im Handumdrehen weggeputzt ist, im Vergleich zum verinnerlichten Ladestock. Viel Spaß den sächsischen Landeskindern, anhaltinischen Hinterladern und dem pommerschen Landwehrmann draußen in Mazedonien auf Auslandsfahrt. Stolzierende Distelfresser frönen der Anhänglichkeit an der Staat und träumen von Beschwichtigung auf die Kralle. Abhängigkeit schlägt auf die Börse. Sell-buy, sell-buy, sell-buy, sell-buy; buy-sell: Beiß in den Meißel! Schlechtes Geld gibt sich leicht aus. Bad money drives out good – better save some for brain food.

Spätbarock, die Berliner Vormärz-„Junghegelinge“ und die „Goldenen Zwanziger“-Linksaktivisten dortselbst in der Arabeske waren Hochlichter der Rockliteratur. Kuhlmanns Flugschriften, die Pamphlete der „Wilden“ (4) und die Berlin-Dada-Elaborate drehen an. Franz Jungs unverkäufliche Broschüre „Mehr Tempo! Mehr Glück! Mehr Macht!“ (5)und Ernst Fuhrmanns Querschriften der zwanziger/dreißiger Jahre sind waschechter Vordenker-Post Rock. Die Eigner des Ihrigen sind ungehörig bis auf die heutige Nacht. Einzige sind uneins. Erhörtheit seift, Unerhörtheit beißt sich durch. Zurückblickend entsteht der Eindruck, die durchgeknallte Literatur für den ausschweifenden Gebrauch hätte 1933 aufgehört, danach sei nur noch offiziell, offiziös und dissidentös weitergeschrieben worden. In der Periode der deutschen Zweistaatlichkeit überwogen Linientreue, Anpassung und Räson die handverlesenen überbordenden Elemente. Die entstandene Viersprachigkeit führte zu hochspezialisierter Verflachung. Insbesondere das globale Gros der neoliberalen Literaten kann 1.) kaum lesen; 2.) sich schlecht ausdrücken; 3.) auch im Verkehr mit den zuständigen Lektoren nicht schreiben – 4.) können allerdings die Leser auch nicht lesen, außer Lektüretips in Werbemagazinen in stillen Stunden, also beim Chill Out – verschenken kann man’s ja immer noch. Andererseits neigen ambitionierte und politisch engagierte Autoren stilistisch zum Quirl – wobei, nichts gegen den Quirl an sich, aber man muß schon aus der Brühe kommen, und einen großen Schaumlöffel einstecken haben, um klar zu sehen. Avanti, Anti-Kanti, schwingt Philippiken! (6) Sell-buy, sell-buy, sell-buy, sell-buy; buy-sell: Beiß in den Meißel! Pfeif aufs Gepräge! Schlechtes Geld gibt sich leicht aus. Bad money drives out good – better save some for brain food.

Gesellschaft war Stirner nicht geheuer. „Das Wort ‚Gesellschaft‘ hat seinen Ursprung in dem Worte ‚Sal‘. Schließt Ein Saal viele Menschen ein, so macht’s der Saal, daß diese Menschen in Gesellschaft sind. Sie sind in Gesellschaft und machen höchstens eine Salon-Gesellschaft aus, indem sie in den herkömmlichen Salon-Redensarten sprechen. Wenn es zu wirklichem Verkehr kommt, so ist dieser als von der Gesellschaft unabhängig zu betrachten, der eintreten oder fehlen kann, ohne die Natur dessen, was Gesellschaft heißt, zu alterieren. Eine Gesellschaft sind die im Saale Befindlichen auch als stumme Personen, oder wenn sie sich lediglich in leeren Höflichkeitsphrasen abspeisen. Verkehr ist Gegenseitigkeit, ist die Handlung, das commercium der Einzelnen; Gesellschaft ist nur Gemeinschaftlichkeit des Saales, und in Gesellschaft befinden sich schon die Statuen eines Museum-Saales, sie sind ‚gruppiert‘. Man pflegt wohl zu sagen: ‚man habe diesen Saal gemeinschaftlich inne‘, es ist aber vielmehr so, daß der Saal Uns inne oder in sich hat. So weit die natürliche Bedeutung des Wortes Gesellschaft.“ (7) Weiter führt Sanct Max aus: „Wie der Saal, so bildet das Gefängnis wohl eine Gesellschaft, eine Genossenschaft, eine Gemeinschaft (z. B. Gemeinschaft der Arbeit), aber keinen Verkehr, keine Gegenseitigkeit, keinen Verein. Im Gegenteil, jeder Verein im Gefängnisse trägt den gefährlichen Samen eines ‚Komplotts‘ in sich, der unter begünstigenden Umständen aufgehen und Frucht treiben könnte:“ (8) Johann Caspar Schmidt, G. Edward, Max Stirner und Max Schmidt hatten Grundhumor, Essenzzorn und Sachkenntnis, egal ob eine Person oder nicht. Zum Preußenausklang ein Gedicht von G. Edward (9):

Neue Bauten

Maurergeselle,
Was regst du die Kelle?
Wohl wird’s ein Lustgebaeude sein?
Ich seh’, Du legst nicht große Massen ein.
„Ein Harem wird’s für schoene Frau’n;
Wir bau’n, den Herren zu erbau’n.“

Maurergeselle,
Was regst du die Kelle?
Wie ungern fuegt sich finstres Felsgestein?
Wer wird Bewohner dieses Hauses sein?
„Der Finsterniß ein finstres Haus;
Bald gehn hier Kutten ein und aus.“

Maurergeselle,
Was regst du die Kelle?
Wie sind des Hauses Augen eng und klein?
Kaum schluepfen kann geschmeidige Lust hinein.
„Dem freien Wort, dem kuehnen Aar,
Bau’n wir hier eine Todtenbahr.“

Bauarbeiter waren schon immer die Zierde der Arbeiteraristokratie. Habt ihr das „Votzen“-Genöle, „Ficken“-Gegröle und „Die-da-oben“-Geprolle vergessen, ist euch entfallen, wie die Krönung des sozialistischen Wohnungsbaus mit Steinen nach „Punkers“ schmiß? Heute auf leisen randbrandenburgischen Sohlen toben sie sich in ihren Käffern aus, und nicht wo sie die Kohle holen; abgesehen jetzt mal von den gedungenen Polen. Soviel zur Popkomm – man kommt eben auf andere Gedanken. Apropos, im Untergrund werkeln Markscheider, das Fell über den Ohren zieht sich zusammen. Aufbegehren führt nicht notwendig zu Empörung, aber versuchen sollte man es schon – mach einfach mal den Rohrlegersender aus und laß einen Gedanken kommen, kombiniere ihn mit dem eventuellen nächsten und tausche dich mit deinen Nächsten aus – vielleicht kommt ein Komplott bei rum. Nicht aussteigen, lieber öfter mal austreten und gegebenenfalls ausschreiten bevor der Zug hält. Wo war ich stehen geblieben, achso: Immer schön mitmischen! Den Refrain könnt ihr euch ja denken.

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1 Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum, Philipp Reclam Jun. Stuttgart, 1972, S. 282/283. Der Zeilenbruch des Prosatextes ist der Willkür des Autors geschuldet.
2 Die russischen Ausgaben z. B. erschienen sowohl als „Jedinstvennyj i jego dostojanije“ als auch „Jedinstvennyj i jego sobstvennost’“, wobei „sobstvennost’“ das Eigentum als Besitz bezeichnet und „dostojanije“ die Errungenschaft, das Vermögen, das Erreichte bedeutet.
3 Aus: „Das Greshamsche Gesetz“ von Hans Bernoulli, Architekt. („Der Hirtenknabe und andere mehr oder weniger harmlose Reimereien über Währung und Wirtschaft.“ Freiwirtschaftlicher Verlag Berlin und Bern, o. J., ca. 1925)
4 Druckerzeugnisse von mehr als 20 Druckbogen (also mindestens 21 Druckbogen = 336 Seiten) unterlagen im damaligen Preußen keiner Vorzensur. Ohne diese Einschränkung wäre auch Stirners „Einziger“ schmaler ausgefallen, behaupte ich hier mal.
5 Franz Jung: Mehr Tempo! Mehr Glück! Mehr Macht!, Malik-Verlag, Berlin, 1923. Eine Werkausgabe von Franz Jung erscheint seit 1981 in der Edition Nautilus in Hamburg (www.edition-nautilus.de).
6 Philippika: Streitschrift (nach den Kampfreden des Demosthenes gegen Philipp von Mazedonien).
7 Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum, Philipp Reclam Jun. Stuttgart, 1972, S. 239.
8 Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum, Philipp Reclam Jun. Stuttgart, 1972, S. 240/41.
9 Als relativ sicher gilt, das die 1847 in der Zs. „Epigonen“ erschienene Polemik „Die philosophischen Reaktionäre“ von Max Stirner stammt. Unterzeichnet war sie allerdings mit „G. Edward“. Das Pseudonym Maja Parerga geht in der Zs. „espero“ (3. Jhrg., Nr. 6/7, März 1996, www.utespero.de) davon aus, daß die in der Zs. „Die Eisenbahn. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Welt“ (Jg. 1842, No. 58) erschienenen und mit „G. Edward“ gezeichneten Gedichte ebenfalls von Stirner stammen, was ich auch glaube, um meinem Sparren Futter zu geben.

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