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Bericht von draußen

Sibylle Berg

Bericht von draußen 1

Früher waren Schriftsteller alt, hatten Brillen und Schlagfluss. Sie saßen hinter schweren Eicheltischen und dichteten. Ab und an empfingen sie den Apotheker und nahmen ein wenig Morphium. Dann flogen Hunde an ihrem Zimmer vorbei. Heute ist alles anders (mein Lieblingssatz, mit dem ich schon mehrfach Satzausschreibungen gewann.)- heute haben wir Events und Eventmanager und darf man die eigentlich einfach erschießen oder muß man vorher mit ihnen frühstücken?
Heute sind Schriftsteller auch wer und sie machen Lesetouren. Meist mit DJ´s. Ein Event also.
Die Texte werden in der Regel nicht besser dadurch. Ich auch nicht. Heute bin ich in Bern. Habe gerade mit Wiglaf Droste einen Event gehabt. Ohne DJ. Dafür mit Radschlagen (Wiglaf)- Spagat (ich). Lesen auch. Prima Event da geht was. Ging gut, gestern Zürich, die Schweiz ist wie immer. Zum ablecken. Jedesmal, wenn ich in die Schweiz komme, ist da dieses überwältigende Gefühl, das Land ablecken zu wollen. Herr Doktor, was sagen sie dazu? Es ist spät, Frau Berg, sie müssen zu Bett.
Frau Berg zu Bett, leckt das Kissen, denkt an die Buchmesse, an der sie Prominente ablecken konnte: Nick Hornby (klein, nett) Hera Lind (nicht da) Herr Seimoglu (klein, nett, schreibt man den so?) rudelweise knutschende, entfesselte Verlagsmitarbeiter und dann- jeden abend Events, das es nur so krachte.
Morgen fahre ich mit dem bereitstehenden Rolls Royce nach Freiburg, dann weiter, egal wohin, egal warum-
Ach so, doch, natürlich- wie ein Leser aufgebracht im Gästebuch vermerkte- um ein Buch zu promoten, und dafür wollte er keinen Eintritt zahlen. Sackgasse, die. Keinen Eintritt? Event mit Akrobatik umsonst- ist der noch dicht?
Umsonst ist nichts, darum wünsche ich Euch allen eine erfrischende Woche an euren Arbeitsplätzen, da verdient ihr Geld, das tragt ihr dann zu mir, wenn ich in eurer Stadt bin-

Bericht von draußen II

Orte habe ich gesehen, die vorher kein menschliches Auge blickte. Witten, Duisburg, vorbeifahren an Friedland. Nicht aussteigen da. Lesung geht so: Auto fahren, hinten, auf der Bank, wo man nicht reden muß, sondern träge lauschen kann, denken kann, immer rückwärts. Dann ankommen, irgendwo, sogar in Witten, in ein Hotelzimmer, gelb, die Nase pudern. Sorge haben: Kommt ein Mensch zum Vortrag, wenn er kommt, der Mensch, wird er pfeifen und mit Dingen werfen?
In Witten dann etwas essen, das seine beste Zeit nie hatte. Laufen, staunend, durch die Fusgängerzonen. Mehr sag ich nicht dazu.
Dann in ein Theater, eine Kultureinrichtung, sitzen, in der Garderobe, schauen was die Rockmusiker an die Wände geschmiert haben, denken, sind die doof, oder ist das Imagepflege? Dann vorlesen. Gut ist, wenn Menschen Freude haben, leise glucksend, sich ordentlich betragen. Schlecht ist, wenn zu viele Menschen da sind, die Fun (ja, so nennen sie das) haben wollen. Auf Teufel komm raus. Egal bei wem. Eagl ob es paßt.
Nach der Lesung das übliche: Drogen, Weiber, Suff, ins Hotel getragen werden. Tiere benutzen etc.
Am nächsten Tag wieder von vorne. So muß sich Rex Gildo gefühlt haben, auf seinen Bädertouren.
Der ist dann tot.

Egal.
Ein Mann schrieb mir eine Mail:
„Ihre literarischen Bemühungen in Ehren, aber wer sind sie eigentlich?“

Schrieb er und ich sage:
1. Wenn ich das wüßte.
2. Kommisches Hobby, sich von unbekannten Personen Newsletter schicken zu lassen, nur um sich dann zu ärgern, das man von fremden Personen Newsletter geschickt bekommt.
Ab in die Anstalt.

Ferner:
4 Journalisten fragten mich nach Popliteratur. Die fragen jetzt niemanden mehr was. In zwei Stunden ist es vier Uhr. Morgens. Und ich muß jetzt noch: Weiber, Drogen usw.
Ich wünsche Euch allen einen ehrliche Woche.

Schau die Raben kommen wieder.
Und die Bäume werden kahl.
Still senkt sich der Reif hernieder.
Jung sein, ja das war einmal.

(das ist das Gedicht, in dem ich endlich mal das Wort hernieder verwendet habe.

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