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David Thomas

Holger Luckas
Vielleicht der menschlichste Musiker der Welt. Zwischen PERE UBU (weniger) und
SOLO - Aktivitäten (mehr), diesmal mit: THE TWO PALE BOYS

David Thomas, den Sänger und Kopf von Pere Ubu und Betreiber diverser Soloprojekte, deren jüngstes den Namen David Thomas and the Two Pale Boys trägt, meint man eigentlich schon nicht mehr vorstellen zu müssen (und es sei verwiesen auf die relativ ausführliche Pere Ubu–Würdigung in Zonic #7), um dann mit bittere Enttäuschung doch immer wieder feststellen zu müssen, daß das opulente Werk des schwergewichtigen Clevelanders mit jetzigem Wohnsitz London abseits der "Kennerkreise" leider nur marginalen Bekanntheitsgrad erreicht hat, trotz Begeisterungsoffenbarungen von Kritikern (oft zu Fans mutiert bzw. umgekehrt) und kleinem großen Comeback von Pere Ubu mit dem phantastischen 1995er Album "Raygun Suitcase".
Seit 1975 nun schon existieren Pere Ubu, deren Musik und Geschichte ich hier aber draußen lassen möchte, obgleich es jede Mange wunderbare Stücke wie Storys von Pere Ubu gibt, die Platten ihrer kreativen Frühphase von 1975 bis 1981 sind übrigens, falls es jemand noch nicht wissen sollte, Ende letzten Jahres in der 5er CD Box “Datapanik in the Year Zero“ wiederveröffentlicht worden, zudem mit Liveaufnahmen (nicht deckungsgleich mit den anderen Pere Ubu–Livealben) sowie Raritäten der Bandgeschichte und des Clevelander Umfelds in der Bedeutung beschwert (Kaufempfehlung). Die sechs David Thomas Solo–Scheiben hingegen, die zwischen 1981 und 1987 erschienen, sind vergriffen und bislang leider noch nicht wiederveröffentlicht. Aber das ändert sich 1997 hoffentlich.
Es soll heute und hier nämlich vor allem um die erwähnten Solo–Projekte gehen. Folgend wird David Thomas in einem Interview sein Gedanken zu dem jüngsten Projekt los, erzählt zudem von seinen Alpträumen, gibt einen kleine Diebstahl bei Kevin Coyne zu und seine Erkenntnisse über die Musikindustrie preis, redet über Blues, Folk und hierarchische Musik und reicht überhaupt jede Menge kluge Gedanken weiter. Laßt Euch überraschen.
Überraschen in der wunderbaren Welt von David Thomas, der unabhängig von seinen Soloaktivitäten nach wie vor der Kopf von Pere Ubu ist und schließlich ja auch der einzige, der es die ganze Zeit ausgehalten hat. Die Bandmitglieder wechselten, aber eines galt in der 20jährigen Pere Ubu–Geschichte als eiserne Regel: Wer bei Vater Ubu mitspielte, mußte aus Cleveland kommen.
Das war eine Art atmosphärische Grundbedingung, um der Band eine gewisse Spezifik zu geben. Geographische Aspekte spielen in der Musik eine größere Rolle, als man gemeinhin denkt. Wer einmal in New Mexico oder Arizona war, weiß, daß nur dort eine ganz bestimmte Art von Musik entstehen kann, und mit Cleveland ist es wohl nicht anders - verständlich zu machen ist dies sowieso nicht. Es bleibt unübersetzbar.
Bei seinen Solo–Projekten, ganz gleich, ob nun die Two Pale Boys, die Woodenbirds oder Pedestrians, da spielte dieser geographische Aspekt keine Rolle. Bei diesen Projekten überträgt David Thomas die Methode von Pere Ubu auf andere Leute in unterschiedlichsten Konstellationen der Zusammenarbeit.
David Thomas‘ jüngste Solo–Veröffentlichung entstand zusammen mit den Tho Pale Boys: das Album “Erewhon“, wie auch das letzte Pere Ubu – Album auf Cooking Vinyl (/Indigo) herausgekommen. David Thomas und die Two Pale Boys arbeiten ohne traditionelle Rhythmusgruppe, ohne Bassisten und ohne Schlagzeug. Wettgemacht wird das durch den Gitarristen Keith Molin, der eine Midi–Gitarre spielt und somit auch Basstöne oder Perkussionssamples erzeugen und diese in sein Spiel einfließen lassen kann. Auch der Trompeter Andy Diagram spielt zwei Klangschichten gleichzeitig: er arbeitet mit Delays und kleinen Samples. Somit sind die Two Pale Boys in der Lage, Tonschleifen, sogenannte Loops, zu erzeugen. Auf diese Weise kann man, überdies unterstützt durch den Einsatz von David Thomas‘ Akkordeon, rhythmische Strukturen erzeugen, die den Namen Groove vertragen. Dies bildet die Grundlage, auf deren Basis Songs entstehen. Trotz aller noch aufzuzeigender Spontanität und Augenblicksschöpfung sind es Songs, und nichts haßt David Thomas mehr als freie Improvisation. Das sei eines seiner Vorurteile, gibt er zu:
„Improvisation langweilt mich zu Tode. Sie führt zu nichts. Wir machen Songs, und jeder weiß, was ein Song ist. Ein Song besteht aus Strophe und Refrain, es ist wie Blues. Die strenge Form schafft Freiheit! Deshalb beruht der Jazz auf dem Blues, auf einer Musik, die sich durch eine der gestrengsten Formeln auszeichnet, die es überhaupt für Musik gibt. Aber aus dieser Formel heraus ergibt sich eine unglaubliche Freiheit. Ohne das man ein Wort miteinander wechseln muß, weiß jeder, was als nächstes wahrscheinlich passieren sollte oder könnte. Je klarer der Rahmen abgesteckt, je klarer die Formel formuliert, desto mehr Möglichkeiten, desto freier die Kommunikation. Ohne klare Sprachregeln würde man sich auch verbal kaum verständig machen können, und ohne klare Regeln würde wahrscheinlich morgen die Gesellschaft zusammenbrechen.“
David Thomas hatte vor Jahren das Akkordeon für sich entdeckt und seitdem hat er es selten beiseite gelegt. Wenn der er es auf der Bühne spielt, trägt er eine rote Schürze, damit sich sein Körper, der Schweiß und das Instrument nicht in die Quere kommen. Melodeon nennt er seine Quetschkommode und meint damit ein diatoni-sches Akkordeon, ein Knopfakkordeon. Richtig spielen kann er es bis heute nicht, er hat kein Interesse daran ein Instrument zu lernen, ein Grund auch dafür, warum er Sänger geworden ist.
„Vor 25 Jahren habe ich versucht, Gitarre zu lernen. Aber mit taten davon die Finger weh. Also habe ich es sein lassen. Das Melodeon kommt mir da entgegen: ich lege meinen Finger auf eine Taste und es kommt eine Note raus, und wenn ich den Balg wieder zusammendrücke wieder eine andere. Damit bin ich sehr zufrieden, das ist ja schon der halbe Weg zu einem Song.“
Außerdem impliziert das Akkordeon oder Melodeon eine gewisse Nähe zu Folk-Music, was David Thomas ja durchaus gelegen kommt. Das Akkordeon reibt sich bei den Pale Boys mit der vollelektrischen Midi-Gitarre und der elektrisch verstärkten Trompete, eine ungewöhnliche Mischung mit außerordentlichem musikalischen Potential.
Dennoch war diese Besetzung eher ein Zufall. Statt der Trompete hätte es auch eine Tuba oder Posaune sein können. David Thomas versucht immer, interessante Leute zusammenzubringen, dabei sind die Instrumente nicht so wichtig. Bevor Andy als Trompeter einstieg, arbeitet David Thomas mit einem Geiger, und das ging auch. Der kombinativen Möglichkeiten sind eben viele.
1985 z. B. spielte David Thomas mit Tony Maimone am Bass, Chris Cutler an den Drums und der Multiinstrumentalistin Lindsay Cooper, die steuerte Oboe, Fagott, Saxophone, Tuba, Klavier und Orgel bei. Es entstand eine gitarrenlose Platte: “More Places Forever“. Für die 86er Ausgabe der Woodenbirds hatte er sich dann vorgenommen, ein Rockalbum ganz ohne Gitarre aufzunehmen, nur mit Baß und Synthesizer, letzterer gespielt von jenem Synthesizerspieler mit dem er jahrelang bei Pere Ubu zusammengearbeitet hat und den Thomas sehr schätzt: Allen Ravenstine. David Thomas sagte über ihn, daß er den Synthesi-zer organisch spielt, so wie nur 4 oder 5 Menschen auf dieser Welt ihn spielen können. Er spiele das In-strument wie ein Mensch, und überhaupt:
„Musikmachen sollte menschlicher sein, als es im Moment ist. Leute arbeiten völlig isoliert, arbeiten in einem geschlossenen Raum, tun wochenlang jeden Tag dasselbe. Auf diese Art hat Musik nicht mehr viel mit Mensch-sein zu tun. Du kannst Spur über Spur spielen, aber das ist eigentlich das Gegenteil einer kreativen Situation voller Inspiration, in der alles fließt und arbeitet. Die Leute heutzutage lieben dies Art Musikmachen nicht; sie möchten Musik künstlich, programmiert, technisch perfekt. Aber das Leben, das Leben ist gar nicht so. Meint Musik soll realistisch sein, aus dem Moment kommen und nicht das genaue Gegenteil davon ..“- das sagte David Thomas vor 11 Jahren! Und so grundsätzlich hat sich daran eigentlich bis heute nichts geändert.
Bei David Thomas ist nichts Zufall. Als er die Two Pale Boys ins Leben rief, ging er natürlich auch von einer speziellen Idee aus, und das war folgende:
Wenn ein neuer Song entstanden ist, dann ist er vor allem die ersten zwei, dreimal gut, wenn er gespielt wird. Die Musiker sind begeistert, alles ist noch frisch, es geht nicht darum, sich an irgend etwas zu erinnern oder etwas in einer bestimmten Weise “richtig“ zu machen. Die Arbeit an dieser Idee ist so neu für Thomas nicht, nicht zuletzt schlägt sie sich darin nieder, daß bei Pere Ubu schon immer das Prinzip der “first takes“ angestrebt wurde (in der Pop-Experiment-Phase zwischendurch ja etwas vernachlässigt hörbar), d. h. möglichst die erste Aufnahme eines Songs bei den Platten die endgültige darstellen sollte, aus den obigen Gründen.
David Thomas bemüht sich also darum, Spontanität zu erreichen, ohne sich dabei aber in Improvisation auszuruhen. Wie kriegt er das denn hin, wenn er mit den Two Pale Boys auf Tour ist, denn gewöhnlich hat man für eine Tour ein bestimmtes Programm aber das würde ja David Thomas‘ Konzept widersprechen:
„Wir spielen nicht jeden Abend die gleichen Songs,“ meint David Thomas, „ und wenn wir schon die gleichen Texte singen, dann ist die Musik dazu jeden Abend anders. Manchmal ist Musik auch ähnlich. Auf keinen Fall ist ein Abend wie der Andere. Dazu muß man sich allerhand Tricks einfallen lassen. Wenn an einem Abend 8 bis 10 Songs gespielt werden, dann sind 3 oder 4 davon völlig neu erfunden. Ich beschreibe den Musikern dann eine Situation oder eine Sache, und sie beginnen dadurch inspiriert mit einem Song. Auf diese Weise wird eine gewisse Stimmung erzeugt, von der der Song lebt. Weitere 4 Songs eines Abends sind Stücke, die wir so spielen, wie wir sie zuvor schon mal gespielt haben, jedenfalls etwa so. Der Rest der Zeit ist solchen Nummern vorbehalten, die wir kennen, die wir brauchen, um uns oder das Publikum in Schwung zu bringen, wenn die Dinge nicht so in Schwung gekommen sind, wie wir uns das vorstellen. Die dienen zur Wiedererlangung des Selbstvertrauens.
Mit den Geschichten, die David Thomas erzählt, bringt er seine Musiker Abend für Abend in Gang, stellt er ihre Imaginationskraft auf die Probe; und eine Geschichte, die er Abend für Abend neu erzählt, ist die von einem Typen aus New Mexiko:
Man schreibt das Jahr 1952, und der Typ leidet unter einer ganz bestimmten Angst es ist die Angst vor seiner Frau. Er hat Angst, sie könne ihn eines Tages verlassen, womit er vielleicht sogar Recht hat. Eines Abends, in der Kneipe, hört er davon, daß sie einen Highway unten durch das Tal bauen wollen. Und da denkt er bei sich: es wäre doch klug, wenn ich mir ein Stück Land dort kaufen würde und am Highway eine Tankstelle errichten würde. Seine Frau hielte ihn dann bestimmt für einen tüchtigen Mann, und er würde ihr einen Swimmingpool bauen.
Der Song, der sich aus dieser Geschichte ergibt, erzählt über diesen Typen, wie er vor seiner Tankstelle steht, und auf die Lichter des Highways schaut. Das also ist die Geschichte, die David Thomas erzählt, dann fängt einer der Musiker etwas an zu spielen, und jeden Abend ist es etwas anderes, auf das sich die anderen beiden einstellen müssen. Die Geschichte ist sozusagen die Hülle, die dem ganzen eine Form gibt, zumindest ein be-stimmtes Gefühl, und daraus entsteht im gewissen Sinne ein Hörfilm. Es ist übrigens ein Stück “Nowheresville“, vor dem die gerade beschriebene Geschichte erzählt wird. Während der Konzerte kommt es also immer wieder zu Überraschungen, und manchmal zu Enttäuschungen. Das ist eben so, wenn man aus dem Nichts heraus plötzlich was schaffen will, wenn man kreativ sein will, da kommen eben mitunter Dinge heraus, die nicht so interes-sant sind. Aber das ist eben der Preis, den man zahlen muß. Doch meistens entstehen dabei sehr unterhaltsame Dinge. Dabei ist David Thomas unbedingt auf das Publikum angewiesen. Schließlich ist jedes Konzert eine Art kooperatives Bemühen zwischen Publikum und Künstler: „Das nenne ich die Folk-Methode. Wir sind keine Superstars, die eine Menge Geld in eine Produktion gesteckt haben und nun vor 10.000 Leuten spielen. Wir liefern kein Produkt ab, das konsumiert wird. Wir versuchen einfach, gemeinsam etwas hinzukriegen. Wir sind auf der Bühne, weil wir uns der Phantasie verpflichtet fühlen, unserer eigenen und der des Publikums. Das Publikum ist ganz wichtig dabei. Das will auch seine Imaginationskraft spielen lassen. Die wenigsten merken, ob du die richtige Tonart getroffen hast oder sonst irgendwie gut spielst. Die sind genauso wie wir.“ David Thomas hat die Beobachtung gemacht, daß er nach einem Konzertbesuch manchmal zu Musikern hinter die Bühne geht, und denen sagt: man, das war aber großartig, und die ihm aber sagen, man, wir hatten Riesenprobleme, das war überhaupt nicht gut. Und doch hat das selbst er als Musiker, als Eingeweihter sozusagen nicht gemerkt. Also urteilt das Konzertpublikum nach ganz anderen Gesichtspunkten als nach dem der ‘musikalischen Qualität‘.
Es geht um das kooperative Bemühen, sich gemeinsam um einen guten Abend zu verschaffen, um Energie, um Poesie. David Thomas erinnert sich in diesem Zusammenhang an ein Konzert seines Freundes Richard Thompson: Richard Thompson hatte einen sehr schlechten Abend. Irgendwie liefen die Dinge nicht so, wie sie laufen sollten. David Thomas sah Richard Thompson auch schon in perfekten Shows, aber jener Abend ist Davids Lieblings- Richard Thompson-Konzert, weil er als menschliches Wesen beobachten konnte, das kämpft, ganz gleich womit. Er hat gekämpft, um etwas zu erreichen; er hat sich den ganzen Abend lang bemüht. Richard Thompson gehörte übrigens zeitweilig zu den Pedestrians und steuerte sein markantes Gitarrenspiel bei. Das dabei Entstandene nach vorgeblich wirksamen Kategorisierungen einzuordnen, ist schwer. Popmusik, könnte man manchmal auch leichtfertig meinen, aber vielleicht doch eher Folkmusik, folgt man David Thomas‘ zuvor geäußerten Argumenten. Wenn man die weiterführt, dann dürfte Folkmusik eigentlich nichts mit Popmusik zu tun haben: „Popmusik ist natürlich ein gefährlicher Begriff. Für mich“- so David Thomas- „gibt es nur zwei Arten von Musik: und die lassen sich an den Intentionen der Musiker festmachen und an deren Produktionsmethoden. Es gibt hierarchische Musik, und es gibt Folkmusik. Hierarchische Musik wäre z. B. ein Komponist, der irgendwo etwas komponiert, oder jemand in den Wäldern von Madagaskar, der eine Trommel schlägt oder anderen Leuten sagt, was sie zu tun hätten. Bei der Folk- Methode kooperieren Leute miteinander. Da stecken soziale Bemühungen dahinter, da teilt man sich die Aufgaben. Mit dem Begriff Popmusik kann ich nichts anfangen. Was heißt schon populär? Woran sollte man das messen, etwa an Verkaufszahlen? Eine sehr vage Kategorie.“
Obwohl David Thomas über die Jahre nie mit dem zufrieden war, was man gemeinhin music business nennt, beklagt er sich nicht. Er wechselten häufig die Plattenfirmen, hielt übliche Videos für rausgeschmissenes Geld und machte sowieso immer, was er wollte. Der gewöhnlich sterbliche Musiker kommt da schnell auf die Idee, es mit einer eigenen Plattenfirma zu versuchen, um unabhängig arbeiten zu können. Nicht so David Thomas: „ Ich ziehe es vor, anderer Leute Geld zu nutzen deshalb Gründe ich keine eigenen Plattenfirma. Ich glaube, die Musikindustrie ist für die Kunst besser als der Kunstbetrieb für die Kunst. Der Kunstbetrieb ist grundsätzlich sozialisiert. Das heißt: es gibt eine Menge Institutionen, die viel Geld an Künstler für Dinge ausgeben, die wirklich niemand mag. Wer geht schon in die Oper, wer hört sich Orchester an, wer geht ins Ballett und wer geht Perfor-manceveranstaltungen, bei den jemand Homer rückwärts vorliest oder sich einen rohen Fisch vor den Kopf haut. Die Dinge, die durch diese sozialisierte Kunst herauskommen, haben für mich weniger Wert. Ballett, klassische Musik und Oper sind für mich fossile Formen. Die existieren nur durch ihren Bezug zur Vergangenheit. Ich weiß natürlich, daß ich auch nicht viele Platten verkaufe. Aber: wer zu meinen Konzerten kommt, der hat dafür bezahlt. Und wer Geld für meine CD ausgibt, hat vorher dafür gearbeitet und damit ein Stück seines Lebens mir gewidmet. Ich kriege nicht vom Staat oder von irgendeiner Gesellschaft größere Summen Geld zur Verfügung gestellt, um zu tun, was immer ich will. Wenn ich auf der Bühne stehe, gibt es einen Vertrag zwischen mir und dem Publikum, und der geht so: Sie haben für mich bezahlt, und erwarten von mir einen entsprechen Gegenwert dafür. Ich schulde ihnen etwas. Das ist doch wie beim Bäcker: wenn ich dem einen Dollar für ein Brot gebe und der mir eine knochenharte Rinde rüberreicht, dann will ich doch meinen Dollar zurück und komme nie wieder in diesen Laden. Auch wenn das Geschäft, die Musikindustrie, es mir in all den Jahren sehr schwer gemacht hat, etwas zu tun, so glaube ich letztlich doch, daß das der bessere Weg ist als jener, der über die sozialisierte Kunst begangen wird. Die Musikindustrie promotet einen Haufen Müll, aber verhindert auch viel von den Nonsens der sozialisierten Kunst... there must be relevance to the common man. Kunst muß auch für den einfachen Mann von Belang sein. Der Durchschnittsbürger muß etwas darin finden können, zumindest ein paar von ihnen. Ich bin schon damit zufrieden, wenn es auf der Welt eine klitzekleine Zahl von Leuten gibt, die das mögen, was ich tue. Die paar Leute bezahlen dafür, und das läßt mich nachts schlafen.
David Thomas wußte nicht, daß das Konzert im Waschhaus, vor dem Interview stattfand, nur zustande kam, weil Radio Brandenburg dieses Konzert über ein Mittschnitthonorar ermöglicht hatte. Ich habe es ihm auch nicht gesagt, denn ich dachte, er sollte auch weiterhin nachts ruhig schlafen können, um ein paar Leuten auf dieser Welt den einen oder anderen inspirierenden Abend zu verschaffen.
Das Konzert im Waschhaus am 19.11.1996 wollte zunächst nicht richtig losgehen, aber David Thomas kämpfte, sowie er es zuvor über Richard Thompson gesagt hat, und der Abend kam doch noch in die richtige Bahn. Schließlich war Thomas so guter Laune, daß das Konzert gar kein Ende nehmen wollte und die Show setzte sich dann auch fort, als er persönlich unmittelbar nach Schluß dazu überging, die Produkte der Two Pale Boys (CDs und „Erewhon- if you´ve lived here you would be home now“ T-Shirts) vor der Bühne zu verkaufen- nicht ohne jeden Käufer danken einen weisen Spruch segensgleich mit auf den Weg zu geben (der meinige: „ The human mind is a terrible thing you won´t understand“ A. P.). Ein grandioser Abend, für Publikum wie Band.
Der Titel der CD von David Thomas & The Two Pale Boys, „Erewhon“ ist zum einen ein Anagram von „now-here“ inklusive einen Buchstabendrehers, zum anderen ist Erewhon auch der Name eines utopischen Romans von Samuel Butler. Damit ist allein schon im Titel abgesteckt, worum sich David Thomas Gedanken auf seiner aktuellen CD drehen: um das Nirgends, um Ortlosigkeit, um Niemandsland (schließlich ja auch der Ort, an dem das Jarry`sche Spektakel um den Vater Ubu spielte, auch wenn es dort Polen hieß- damals ja auch nicht existent... A.P.). Die CD-Hülle zeigt Ausschnitte aus Landkarten, die die Illusion einer geographischen Wirklich-keit wecken. Doch der genaue Blick verrät, daß die Namen der sibirischen Städte auf der einen und die der amerikanischen Städte auf der anderen Landkarte willkürlich verteilt wurden. Ein Täuschungsmanöver, das uns die viel zu selten einsetzende Erkenntnis vermittelt: es könnte auch anders sein. Was wir für Wirklichkeit halten, ist ohnehin nur eine Illusion. Auch David Thomas, seine Musik, sein Konzept, ist letztlich Illusion. David Thomas als das wandelnde Täuschungsmanöver, der Simulant, dessen anregende Ideen nie ganz aufgehen, sonst wäre es für ihn wohl auch zu langweilig. David Thomas ein Verrückter, einer, der gern etwas verrückt, seien es nur Gedanken oder Orte auf der Landkarten.
Die CD “Erewhon“ ist eine mixed – media- CD, die als CD-ROM abgespielt, natürlich noch unendlich viel mehr Informationen bietet, als auf einer CD-Hülle abgebildet werden können. Dazu gehört auch ein `Thanks to Kevin Coyne`. Wofür bedankt sich David Thomas bei Kevin Coyne?
Nun, in einem Kevin Coyne-Song gibt es eine Zeile, in der es heißt: die Welt ist voller Narren, aber das heißt nicht, daß das die schlechten Menschen sind. Die Zeile gefiel Thomas so gut, daß er aus `the world ist full of fools` den Song `Planet of Folls´ machte. Die Zeile war sozusagen eine gedankliche Inspiration für ihn, und wenn David Thomas einen Gedanken stiehlt, dann sagt er eben auch von wem, insbesondere bei einem Mann wie Kevin Coyne. David Thomas bezeichnet sich als großen Kevin Coyne-Fan, er kennt ihn zwar nicht persönlich, aber die beiden sind sich hin und wieder mal über den Weg gelaufen. Als ich diese Nummer von Kevin Coyne für eine Radiosendung raussuchte, mußte ich allerdings feststellen, daß das gar kein Text von Kevin Coyne war. Er hat zwar die Musik dazu geschrieben, aber den Text verfaßte 1978 Bob Ward.
Im Verlaufe des Konzerts stellte David Thomas auch eine Version von “Weird Cornfields“ vor, die sich von der auf der CD musikalisch deutlich unterschied, wenngleich sich der Text nicht veränderte. Der Song handelt von einem Maisfeld am Fluß, wo seine Eltern eine Farm haben. Im Mondlicht fährt David Thomas dort entlang. Und plötzlich beginnt ihn dieses Maisfeld zu verfolgen. Er sieht diesen vom Mond beschienen Maisfeld im Rückspiegel und es scheint ihm, als wäre es in seinem Auto hintendrin, als würde es nicht mehr aufhören, ein Alptraum über ein nicht enden wollendes Feld im Auto ...
David Thomas denkt also über Alpträume nach. Die hören sich ja manchmal lustig an, aber da steckt ein Element von Inkongruenz drin. Denn für denjenigen, der etwas träumt, für den ist der Alptraum sehr wirklich, für andere dagegen wirkt es komisch. Da lacht man doch drüber, wenn einer Angst hat, in den Rückspiegel zu blicken, weil er dort ein unendliches Maisfeld sehen wird. Aber es ist vor allem diese Inkongruenz, die David Thomas zu schaffen macht. Die einen kriegen Schweißausbrüche, die anderen lachen drüber. Wie kommt sowas zustande? Und er erzählt gleich noch einen seiner Alpträume:
Als Teenager bis weit in die 20er hinein träumte er oft von den Opiumpeople, den Opiummenschen, die aus Opium bestanden. Diese Opiumpeople verfolgten ihn, die konnten ihre Hände abreißen und damit nach David werfen; auch ihrer Arme und Beine, die schmissen sie ihm einfach hinterher. Für andere mag sich das beinahe lächerlich anhören, aber für den jungen David Thomas war das ein Graus.
Die Songs von David Thomas sind wie Soundtracks zu bestimmten Bildern.
Nach einem Manuskript zur Sendung Freistil auf Radio Brandenburg / Be & Zerarbeitung A. Pehlemann

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