Zonic > Artikel > Zonic Spezial > Ende. Rewind. Play. - Vorwort der Her...

Ende. Rewind. Play. - Vorwort der Herausgeber
Vorwort der Herausgeber

Alexander Pehlemann & Ronald Galenza

Der alte Osten war eine Transformationsgesellschaft – allerdings in eine Richtung. Aus nichts entstand wenig, aber trotzdem waren immer alle Pläne übererfüllt. Anfang der Achtziger stagnierte die Gesellschaft vollends. Kultur war da ein zusätzlicher Transmissionsriemen, der die Nischen der randständigen Existenz weitete und den Untergangskurs verstärkte. Ende der Siebziger brachen die Punks lustvoll alle berechenbaren Tabus. Ab nun wurde quergetrieben, anders ausgesehen und ein ganzer Staat verhöhnt. Der reagierte anfangs verwirrt, dann mit radikaler Härte, um die unbotmäßigen Schreihälse konsequent mundtot zu machen. Die Staatsicherheit griff ein und löste die erste Punk-Bewegung der DDR bis 1984 weitgehend auf. Mit dem Aufbegehren von Punk machten sich aber auch einige Sound-Enthusiasten auf, neue Wege übers Land zu gehen. Anregend verstört von Schallplatten und Radio-Sendungen aus dem Westen, interessierten sie sich nicht mehr nur für die Drei-Akkorde-Schlachtrufe, sondern hörten genauer hin, neugierig geworden auf das neue Andere, das verwirrend Spezielle, das von Bands wie Throbbing Gristle, The Residents, Cabaret Voltaire, Gang of Four oder Virgin Prunes herüber wehte. Von West-Berlin aus irritierten und inspirierten zudem die Genialen Dilletanten mit ungehörtem Lärm und sendete das „Atonal-Festival“ schrille eklektisch-elektrische Schwingungen durch die Mauer. Der terminus technicus war in der DDR ein ungewisser, gezeichnet von Mangel und Begeisterung. Die elektrischen Widerständler operierten an einer undefinierten Grenze aus Bastler-Leidenschaft und Klangwut.

Ein Teil der subkulturellen Szene der DDR begab sich fortan in kreative Wechselwirkungsprozesse offenen Ausgangs, bei denen Musiker aus dem Punk-Umfeld mit den Untergrund-Literaten der Prenzlauer Berg-Szene oder performativ-aktionistisch arbeitenden bildenden Künstlern kooperierten. Von Staat und Gesellschaft hatten sich diese Akteure längst innerlich verabschiedet und fingerten auf der Suche nach Freiräumen republikweit an den Stellschrauben des Systems. Daß man jenem, solange der Grenzübertritt nicht endgültig vollzogen war, nicht komplett entkommen konnte, blieb klar: die Stasi war stets präsent. Was allerdings nach der Maueröffnung an neuen und überraschenden Erkenntnissen in Sachen IM-Durchdringung heraus kam, konnte zu jenen Tagen niemand ahnen, allenfalls befürchten. Zumeist eher anti- bis unpolitisch und ausreichend desillusioniert eingestellt, wurde jedoch versucht, sich davon frei zu machen, und jenseits des direkten politischen Aktivismus war man es zunehmend auch. Bei fortlaufender Systemagonie sogar in den Bezirken. Es war keineswegs so, daß sich jeden Tag Stacheldraht durch die Köpfe zog, um fortgesetzt in den Klängen, Texten, Filmen oder Bildern entrollt zu werden. Frei vom Verfolgungsdruck, wie er noch gegen die ersten Punks herrschte, losgelöst von jeglichen Rockszene-Verpflichtungen und Aufmerksamkeits-Sehnsüchten, agierten die Protagonisten des sich entfaltenden Kooperations-Spektrums oft nahezu unbemerkt in Proberäumen, Gartenlauben oder vereinnahmten Häusern. Machten sich daran, das Einerlei zu gestalteten, abgesichert in dubiosen Schein-Arbeitsverhältnissen oder bereits gänzlich frei, und schraubten bzw. spielten nur für sich selbst, ihre Freunde oder den nächsten Morgen. Verwertungsaspekte waren absent, nur der Moment, die Anwesenden, das Experiment waren wichtig. Die einen bauten Instrumente oder Verstärkeranlagen, andere, Technik-Nerds auf der Suche nach einer verlötbaren Zukunft, bastelten seltsame Schaltkreise zusammen. Für neue oder zumindest aktuelle Gerätschaften aus dem technologisch führenden Westen mußte man einiges an Mark in Westgeld verwandeln, rüstige Rentner oder ausgereiste Kollegen als Lieferanten nutzend. Die moderne West-Technik änderte einiges im Lande der „Messe der Meister von Morgen“: Computer, Sampler, Casios, Delays und Mehrspur-Decks, mit denen neu geforscht, ausprobiert und festgehalten werden konnten, bereiteten den Weg für neue Arbeitsweisen. Technik bedeutete gerade für diese Soundbastler Innovation. Nicht vorhandene aber genauso und manchmal: um so mehr. Zentrum der neuen Klänge war Berlin, aber auch aus der Peripherie und den Provinzen waren verstörende Experimente und provozierende Soundtracks zu vernehmen.

Für die virulente Übertragung jener Überlebensgeister abseits der gesellschaftlichen Zirkulationen war die Kassette das ideale Medium. Leicht handhabbar, robust und schnell, in jedem Fachgeschäft erhältlich. Ziemlich teuer allerdings. Während man für eine einfache Wohnung im Prenzlauer Berg 50 Mark Miete zahlte, kostete eine einzelne Leerkassette immerhin 22 Mark. Für eine sogenannte Chromkassette (niemand wußte, wo darin das Chrom versteckt war) zahlte man tapfer 30 Mark. Also mehr als die halbe Miete. Die alten polnischen und tschechischen Spulen-Tonbänder aber waren out und Platten kamen systembedingt erst gar nicht in Betracht. Die Kassette fungierte als Träger subversiver Selbstbehauptungen, als Kassiber voll Samisdat-Sounds, die ihre aus ganz anderen Gründen existierenden westlichen Parallelentsprechungen hatten. Was jenseits der Mauer ökonomische Verweigerungshaltung und partiell kulturstrategisches Arbeiten war, als Versuch des Sich-Entziehens, des Entkommens aus dem süffisant alle Gegenbewegungen ins System einspeisenden Verwertungsapparats, das war diesseits der Umhegung die letzte verbleibende Bewegungsmöglichkeit. Für die Individualisten dieser „Magnetbanduntergrund“-Generation gab es keinen Markt, kein Label, keinen Vertrieb, kein Merchandising, keinerlei Öffentlichkeit, keine Zeitung, die darüber berichtete. Das änderte sich erst, als die staatliche Jugendwelle DT 64 ab Mitte 1986 eine nächtliche Spielwiese eröffnete. Im „Parocktikum“ präsentierte Moderator Lutz Schramm, ganz im Geiste John Peels auch als Förderer und Sessionarrangeur auftretend, die Basement-Tapes der Republik. Einige Bands nahmen nun extra Kassetten auf, um wenigstens einmal im Radio gespielt zu werden, während andere sich prinzipiell dem Staats-Funk verweigerten und strikt ablehnten. Ab Mitte der achtziger Jahre tauchten dann die ersten, limitierten Kassetten-Editionen auf, die großteils aber lediglich an Freunde weiter gereicht wurden. Das funktionierte so lange gut und solidarisch, bis die nachrückenden „anderen Bands“ größere Tape-Auflagen bei ihren Live-Konzerten ans Publikum verhökerten und Mailorder-Vertriebe entstanden. Ein ganz neuer, grauer Kassettenmarkt wuchs, der teilweise durchaus ökonomische Dimensionen gewinnen konnte.
Ob die seit Mitte der Achtziger einsetzende Öffnung, mit der neben der Chance medialer Präsenz in Radio und Magazinen zudem ein Anwachsen der offiziellen Auftrittsmöglichkeiten einherging, in fortgesetzter Konsequenz das Auflösen der hier aufgezeigten Arbeitszusammenhänge gebracht hätte, kann nur spekuliert werden. Der bald einsetzende Zusammenbruch brachte die noch im Lande weilenden Akteure um die Verlegenheit, sich fortlaufend neu zu positionieren. Seither haben sich die Konstellationen radikal geändert. Einige sind bereits tot, aber für die ehemaligen Mitstreiter unvergessen, für andere ging es in den kreativen Ruhestand oder schlichtweg nirgendwohin. Die untergründigen Strömungen aus den Zeiten jenes lustvollen Ausprobierens führen jedoch auch zu Bands wie Tarwater oder To Rococo Rot, den Electronic-Pionieren Frank Bretschneider, Olaf Bender und Carsten Nicolai mit ihrem Elektroniklabel Raster-Noton bis hin zu den fulminanten Rammstein. Wie sehr jene für die Szene typischen Arbeitsweisen prägten, läßt sich vielleicht an dem Fortbestehen vieler Kooperationen zu den völlig veränderten Bedingungen nach der Wiedervereinigung ablesen. Was natürlich auch eine Art fortgesetzten Kiezismus bedeuten kann, eines gar nicht so anderen Wohlfühlens in den eigenen Grenzen.

Das hier vorliegende Material soll bei aller im Prozeß des Sammelns und Sichtens erreichten Bandbreite nie den Anspruch erfüllen, eine Vollständigkeit oder stilistische Allumfaßtheit des auf Kassetten überkommenen DDR-Untergrund zu liefern. Ein „Best of ...“ damaliger Funktionszusammenhänge schon gar nicht. Ein bewußt subjektiver und auf die heutige Rezeption, zuvorderst die eigene, abhebender Hörwinkel war es, aus dem das Kollektiv der Kompilateure agierten. Gesucht wurde die skurrile B-Seite, das gewagte Experiment, das noch heute Außergewöhnliche im Rahmen des damals sowieso schon aus dem Systemrahmen Fallenden. Das noch immer bzw. wieder Überraschende. Trotzdem oder gerade deswegen ist es gelungen, kombinatorisch einen Kontext zu dokumentieren, dessen musikalische Ränder der frühe DDR-Punk und der gegen Ende dieses Jahrzehnts einsetzende Boom der sogenannten „anderen Bands“ bilden, und der, wie Bert Papenfuß es ausdrückt, „kongruent war zur Absurdität der realen Existenz“. Sehr viel eher als über die durchaus existierenden und hoffentlich auf anderen Ebenen einmal präsentierten „Hits“ der DDR-Independentszene, die sich natürlich allzu oft am internationalen Standard abarbeitete, erschließt sich über die oft bizarre und schräge Soundlandschaft dieses „Magnetbanduntergrunds“ eine Art Lebensgefühl der DDR. Eines, das von kreativen Nischenexistenzen, von gesellschaftlichen Neben- und Rückzugsräumen, von lustvoll-verzweifelter Suche nach Wegen der schöpferischen Selbstbehauptung und der Sehnsucht nach Kommunikation erzählen kann. Davon, daß zum Schluß (fast) niemand mehr mit machte und der Prozeß der Individualisierung längst das Ende des (sur-) realen DDR-Sozialismus eingeläutet hatte.
Es scheint dabei einfacher, zu versuchen, etwas nicht zu sein, als sich Zuschreibungen und Erwartungshaltungen zu unterwerfen. Die Tradition der Verweigerungshaltung setzt sich hier insofern fort. Buch und CDs sind vor allem: Entdeckungsfelder voll Unerhörtem und Andersklingendem. Repräsentation passiert hier durch Anti-Repräsentation. Nichtsdestotrotz setzt sich im Zusammenspiel von Sounds und Texten bzw. Interviews ein konzises wie schillerndes Bild zusammen, um sich genauso in dilettantisch-geschickten Freiklangschlägen definitorischen Festschreibungen zu entziehen.

Zur Entstehungsgeschichte von „Spannung Leistung Widerstand. Magnetbanduntergrund DDR 1979 – 1990“ gehört auch, daß zwischenzeitlich angedacht war, diese Kassettenszene Ost in Vergleich zu setzen mit der Tapeszene West. Sowohl mit Tonmaterial als auch in Reflektionen auf Ökonomie, Ideologie, Strategie & Taktik. Aus unterschiedlichen Gründen kam das letztlich nicht zustande. Schon die zu betrachtende Materialfülle war erschlagend (Empfehlenswert diesbezüglich ist das Fanzine „Blecheimer & Luftpumpe“. Aufnahmen aus der frühen D.I.Y./Tape-Szene werden regelmäßig vom Label Vinyl On Demand veröffentlicht). Mit Wolfgang Müller, Alfred Hilsberg und Mario Mentrup finden sich hier jedoch drei Artikel, die aus ganz unterschiedlichen Positionen eine Beobachtung des DDR-Untergrund aus westlicher Perspektive liefern. Vom maßgeblichen Initialzünder über den potentiellen und nach der Wende ganz realen Kooperationspartner auf dem Musikmarkt bis zum kreativen Mitkämpfer auf dem Boden der direkten Wechselwirkung.
Die Szene war von gegenseitiger Durchdringung und entgrenztem Ineinander geprägt, bei dem sich bedingt durch die Enge des Bewegungsraumes vieles nebeneinander stellte, was sonst durch Stilbewahrer und Verwertungsinteressen von Trennschärfen erfaßt worden wäre. Einige der Beiträge und Interviews zeigen jedoch auf, wie unterschiedlich die Ansätze und Persönlichkeiten teilweise waren. Das Auseinanderlaufen der Biographien innerhalb der 17 bis 27 Jahre Entwicklungszwischenraum als verstärkendes Element eingerechnet. Abgrenzungen und Definitionen spielen nun eine Rolle, wo vorher funktionierende Mißverständnisse und systembedingt Zwangs(läufigkeits)kooperation waren. Das Paradies der unbegrenzten Zeit und des Existierens fern ökonomischer Verantwortungen ist abgebrannt und glüht nur noch in den Aufnahmen jener Tage und vor allem Nächte weiter.

Spannung. Leistung. Widerstand.

Unter Spannung stand man notgedrungen permanent.
Um Leistung ging es nie.
Und Widerstand? Passierte grundsätzlich, als ästhetische Lebenshaltung & symbolisch nebenbei.

Copyright © 2006 Zonic