Sommer 2006. Wir sitzen mit einigen Jungs hinten im Garten von Flake. Die Mücken nerven. Flake erzählt von alten Feeling B-Aufnahmen, die er gefunden hat. Die seien steinalt und müßten wohl aufgebacken werden, um überhaupt noch genau einmal abspielbar zu sein. Wir machen ein neues Bier auf und er überlegt, ob er wirklich eine Best of Feeling B-Platte machen solle? Nun ist sein Projekt also da, heißt „Grün und Blau“ und ist doch keine Best of-Scheibe geworden. Allerdings hatte seine Plattenfirma wohl nicht genug Vertrauen in die Platte allein, sie bat ihn, doch noch ein kleines Buch dazu zu machen. „Grün und Blau“ sollte auch keine Retrospektive werden. Retrospektiv sind lediglich die Buchtexte, die aus heutiger Sicht das Damals beleuchten und verständlicher machen.
Flake sagt, daß die Orwo-Bänder nach zwanzig Jahren vergammeln. Die Magnetschicht löst sich ab. Er hat es wie ein Arzt gemacht: Wenn man den Patienten liegen läßt, stirbt er, wenn man operiert, kann er sterben. Flake ließ das Material „aufbacken“. Die Tonbänder wurden drei Tage lang in einen Ofen gelegt und auf 60 Grad erhitzt. Dadurch haften die Magnetpartikel besser. Flake schildert, wie es überhaupt zur Restauration kam. „Dabei haben wir festgestellt, daß es viele Aufnahmen gibt, die ich ganz vergessen hatte. Als wir uns diese Stücke anhörten, fanden wir einige Sachen so gut, daß wir uns bewogen fühlten, die Lieder aufzubereiten.“ Von langer Hand geplant war der Release von „Grün & Blau“ eher nicht: „Ich wußte letztendlich gar nicht, was ich wollte und mein Plan war es ursprünglich auch nicht, die Sachen zu veröffentlichen. Das ergab sich einfach so, denn wenn man den ganzen Aufwand schon betreibt, dann kann man es auch veröffentlichen. Und einfach frei Schnauze die Lieder ausgewählt, die ich am besten fand.“
Die Platte klingt seltsam anders, wenn man noch die alten, originalen Feeling B-Songs im Ohr hat. Aber die klangen ja schon damals live sehr anders, als dann auf der Amiga-Platte. Wie die seinerzeit entstanden ist, kann man noch mal sehr plastisch in unserem Buch „Mix mir einen Drink – Feeling B“ von Ronald Galenza & Heinz Havemeister nachlesen. Die CD ist eine Zusammenstellung von 13 Titeln. Essentielles fehlt bewußt, wie etwa die zeitlosen „Artig“, „Ich such’ die DDR“ oder „Mix mir einen Drink“. Vielmehr ist das eine CD mit nicht veröffentlichten und neu gemasterten Songs. Titel, die damals live gern gespielt wurden, aber noch nie auf einem Album erschienen waren, etwa „Frosch im Brunnen“ oder „Graf Zahl“ - eigentlich der Hit der Magdalene Keibel Combo von Flake und Paul.
Leider büßen die zum Vergleich der alten Songs durch die Überarbeitung (teils zugunsten einer besseren Tonqualität) wichtige Bestandteile ein. „Alles ist so unheimlich dufte“, hier kurz „Dufte“ betitelt, verliert gegenüber dem Original 40 Sekunden, seine dominant fiepsenden Synthesizereinlagen und damit auch seinen ursprünglichen Charme. „Du wirst den Gipfel nie erreichen“ bzw. „Gipfel“ kommt ohne die beschwingte Hintergrundpercussion, durchgeknallte Bläser der Bolschewistischen Kurkapelle und abschließendes Löwengebrüll weit schlichter daher, die letzte Gesangsstrophe geht in den dominanten Gitarrenriffs unter. „Space Race“ wurde wohl aus Platzgründen gar von dereinst sagenhaften 31 auf sieben Minuten zusammen gedampft. Flake meint, er hat jetzt versucht, frühere Fehler nachträglich zu korrigieren. Den notorisch dünnen Sound des Amiga-Studios hat er am Mischpult überarbeitet. Da Feeling B dazu neigten, Arrangements in kühner Sprunghaftigkeit umzuwerfen, ließ ihn nun manche Schnell-Entscheidung rückgängig machen. Jetzt, sagt er, sei „alles wieder so, wie es ursprünglich gemeint war.“
„Wir saßen rum und nichts passierte“, erzählt Flake weiter, „Aljoscha kam oder er kam nicht.“ In dieser Situation entstand der Song „Langeweile“, in dem Flake behauptet, daß alle großen Erfindungen „nur so aus Langeweile“ entstanden seien. („Also ich für meinen Teil steh’ mehr auf Fernsehen / weil meine Frau und ich so gern sehn’ / ich bin zwar kein Genie / doch das störte mich noch nie“). Oder den heiteren Polka-Exzeß „Herzschrittmacher“ („Das ist der Herzschrittmacher-Rythmus / wo jeder mit muß / und keiner der bleibt stehen / es könnt an’s Leben gehen. Ruth liegt in ihrem Blut / die Halsschlagader ist kaputt“). So kann man sich neu an „Keine Zeit“, dem bitterbösen „Häßlich“ („Du siehst so gräßlich aus, du siehst so häßlich aus / nein, du bist nicht schön / dir macht’s doch bestimmt nichts aus / nach Hause zu geh’n“) oder dem Titeltrack „Grün & Blau“ erfreuen. Bei dem versuchen Lorenz und Landers, bei den Aufnahmen 1983 gerade mal um die 17 Jahre alt, noch wie Ideal zu klingen. Völlig neu sind drei Songs, die Lorenz und Landers als Demos für ein viertes Feeling-B- Album aufnahmen, das nie herauskam, weil sich Sänger Rompe ausgeschlossen fühlte. „Herzschrittmacher“, „Wieder keine Zeit“ oder „Häßlich“, gesungen vom bekennenden Nicht-Sänger Flake, weisen mit makabren Texten und kühlen Metall-Riffs schon in Richtung Rammstein. Die Platte zeigt, daß der gute Vorsatz des Mastering nicht immer ohne atmosphärische Einbußen am originalen Material vonstatten geht. Kennern, Sammlern und Fans sei diese Zusammenstellung mit ihren „neuen“ Songs trotzdem anempfohlen. Denn diese Songsammlung kann als bedeutender Indikator für die Vielschichtigkeit der Band stehen und ist eine wichtige Ergänzung zur Feeling B-Diskographie.
Das Buch hat 160 Seiten mit Texten und Kommentaren von Flake selbst, seiner Mutter, Produzent Mark Bihler und Key Pankonin. Dazu Privatfotos, Fundsachen, Zeichnungen, Erklärungen zu den Songs und Flakes Stasi-Akte. Nach Durchsicht seiner Akte meckert Flake: „Was ich dort gelesen habe, ist bodenloser Unfug. Davon stimmt nichts, als hätte jemand mit Absicht eine falsche Spur gelegt.“ Den Text von Flakes Mutter hätte ich mir deutlich knackiger gewünscht, der erscheint sehr nett. Sie muß doch abstruse Sachen miterlebt haben, z. B. wenn der chaotische Aljoscha bei Flakes Eltern aufgetauchte. Produzent Mark Bihler gesteht freimütig, daß er unbedingt mal mit einem Rammstein arbeiten wollte, erzählt ansonsten allerdings etwas weitschweifig. Key Pankonin schwelgt in Feeling B-Erinnerungen.
Am schönsten ist das Buch, wenn Flake selbst schreibt und erzählt. Da wird alles lebendig.
Seine Texte und Erklärungen leben eben von diesem speziellen, köstlichen Flake-Humor. Das liest man wirklich gern und freut sich. Flake erklärt: „Ich habe mich einfach abends an den Computer gesetzt und drauf los geschrieben. Es gab kein Konzept, und ich würde das jetzt auch nicht als Buch hochspielen. Ich will die Sache ja nicht abhandeln, sondern wollte nur die Partikel retten.“ Flake berichtet aus einer Zeit, die trotz der widrigen Gegebenheiten im DDR-Regime unbeschwert und sorgenfrei gewesen scheint – zumindest vermittelt das Buch diesen Eindruck. Flake: „Na klar, das war die schönste Zeit in meinem Leben. Das ist wohl immer so zwischen 16 und 25. Uns ging es spitze - so schön wird es auch nie wieder“. Aber die Zeiten haben sich geändert. Aljoscha ist tot, Flake und Paul bei Rammstein aktiv. Paul hält von der Archäologen-Arbeit seines Wegbegleiters übrigens wenig. Er machte da nicht mit. Seine Zustimmung hat er widerwillig erteilt. Denk dir ein Lied aus, wenn du eins machen willst, lautete Pauls Rat. Flake: „Ja, es ist eine absolut subjektive Erinnerung und Paul sieht diese Dinge grundsätzlich anders als ich. Deswegen möchte ich auch betonen, daß die ganze Sache von mir ausging und er damit nichts zu tun hat.“ Mit „Grün & Blau“ hat Flake hoffentlich seinen Frieden mit Feeling B gemacht. Er selbst will die alten Songs nicht mehr spielen - zum letzten Mal tat er dies vor langen Jahren beim Beerdigungs-Konzert für Sänger Rompe. Es war gut, dabei gewesen zu sein.
Ronald Galenza, Dezember 2007
Motor Music 2007, CD + Buch, 160 Seiten, 20,99 €
Ronald Galenza