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TIME TRAVELLER TRANSGLOBAL zwischen Technologie und Tradition
László Hortobágyi & seine Gáyan Uttejak Society

unbekannter Autor
Sieh da - ein Mann mit Sitar.
Ach, Indien mal wieder... Asian Sounds? Asian Underground gar?
Nein, hier fetzt es nicht Sampleanklänge in Beliebigkeit über Divers-Dancebeats, irgendwo zwischen Exotis/Pseudo-Authentizimus, bollywoodistischem Trashappeal und/ oder indoiser Rootsversicherung (eigene im besten Fall, zumindest im diasporischen, westlich melting pot-haften...).
Nein, hier ist es ernst. Ernsthaft im Groove genauso wie im Überbau, ein gigantischer Überbau in fast schon unübersehbarer Dimension, an den ich mich hier nur äußerst bescheiden anzunähern wagen kann.
Und Indien ist, bei aller Hortobágyi´schen Liebe zur klassischen Musik des Subkontinents, nur eine, wenn auch oft vordergründig soundende Note im weiten Feld der tönenden Dinge. Es wird komplex.

Lászlo Horotbágyi ist es ernst, sehr sogar. Der Lage nur allzu adäquat, der weltweiten, lies: allseitig globalisierenden, dem kulturengefährdenden Entwicklungsprozess, dem fortschreitenden, scheinbar unausweichlichen. Der Klanglage genauso, kurz: K-lage; dem zu beklagenden Status Quo. Aber Hortobágyi klagt nicht, zumindest nicht be- , und auch nur sehr bewußt und gezielt an-, er handelt, nicht im Helferssyndromsinne, sondern eher vor sich hin, einer schmalen Überlebensart&weise zu, einem Survivalspagat zwischen den Kulturen und deren Lebenszeiten mittels elektronischer Mittel, die eben als Werkzeuge auch Hilfsmittel des rasant schleichenden Kulturtodes sind. Komplexe Widersprüche in lebendiger Fruchtbarkeit und fatalistisch unaushaltbarer Konsequenz, kurz: Leben halt, hier und jetzt, unser aller weltkapitalistischer Tage. Die Arbeit heißt Transzendenz, das Überschreitungsmittel ist in bewährter Weise: Musik.
Wiewohl sich Hortobágyi nicht für einen Musiker hält:
„...weil Musik für mich eine Zeitreise ist. Von den augenblicklich zur Verfügung stehenden Medien ist sie das einzige, mit dem man eine wirkliche Zeitreise machen kann. Musik klingt [...] von außerhalb. Als ich Kind war, habe ich von außerirdischen Wesen geträumt, die mit ihren opalfarbigen Raumschiffen vor unserem Haus gelandet sind. Nach langem Gedankenaustausch habe ich sie gebeten, mich mitzunehmen, aus dieser eigentlich schon damals deutlich fühlbar hoffnungslosen Lage zu retten. Das Gefühl der Entfernung und hauptsächlich der sinnliche Genuß dieser Gespräche kann mit Musik verglichen werden. Das ist für mich Musik, es ist also nicht wichtig, ob ich Musiker bin, wie ich auch nicht weiß, ob man überhaupt in die heutige Komponistenkaste gehören sollte. Aber das interessiert mich auch wenig, die Musik ist das Wichtigste.“

Diesem alienhaften Wichtigsten widmet sich der 1950 in Budapest geborene und noch immer dort arbeitende mit aller intellektuellen Kraft. Einer gewaltigen, wohlgemerkt - jedoch, holen wir nicht gleich zu weit aus, übertragen wir nicht gleich die eigenen Beschämunggefühle ob der Unwissenheiten, die sich bei Eindringen in die Hortobágyi´schen Denkdimensionen offenbart haben (adäquat zu der sich im Rahmen der nach dem 11.09.2001 einsetzenden Diskussion um [fern]östliche Kulturen allgemein sich offenbarenden Unwissenheit in der westlichen Gesellschaft). Schließlich wird hier ja nicht auf Exklusion spekuliert, wiewohl Dabeisein über das pur Musikalische hinaus einiges an Denkarbeit voraus setzt, wozu herzlich eingeladen wird.

Auf verschiedenen der mittlerweile fast 20 Hortobágyi´schen Veröffentlichungen findet sich der folgende, irgendwie an ein Arbeitsweisen-Manifest zwischen Dogma und demystifizierender Offenlegung gemahnende Hinweis:

„ It´s not needless to mention that each of the ethno musical elements in the music of Gayan Uttejak Orchestra & L.Hortobágyi- that seems to be original and traditional- are digital and restructed. None of the figuring ethno phrases are in the reality: they consist of of small re-synthesized samples (20 msec. – 9 sec.) and digital assorted and re-arranged of the original-local sound recordings. It´s technological basis are PCM morphology using up the old FFT spectrum analysis as an algorhythmical controller and a virtual overtone processing synthesis software developed privately.“

Hier spricht Hortobágyi der Musikwissenschaftler, beratendes Mitglied eines Beirats zur Erforschung von Computermusic der Akademie der Wissenschaften zu Budapest, der Kultur(en)forscher, der Konzeptionalist, der Techniker - und Musiker (oder auch nicht, s.o.). Jemand, der seit 1967 bereits intensiv sich an musikologischer Indologie abarbeitet, seither stetig Expeditionen nach vor allem Nordindien zur Feldforschung unternehmend, von diesem Feld aber vor allem Klangfrüchte sammelnd, die dann eben auch, siehe „Arbeitsweisenmanifest“, in Eigenkompositionen einfließen. Jemand, der u.a auch Rudra-Vina, Sitar, Surbahar und Tabla spielen kann. Jemand, der aber genauso in Ungarn verschiedentlich Orgeln gebaut hat, Orgelkompositionen schreibt oder nach obig genannter Methode hochkomplizierte Stücke aus Orgelsoundschnipseln zusammensetzt (genau auflistend, von welcher Orgel und welchem Komponisten). Jemand, der sich bei aller Konzentration auf asiatische Musikkulturen auch intensiv mit europäischer Klassik auseinandergesetzt hat, zu seinen Einflüssen u.a. aufzählt: frühe mittelalterliche Musik, hochstrukturierte Renaissancemusik (Tinctoris und Zeitgenossen...), die gesamte Geschichte der Orgelmusik bis Heute, Frühbarock und einige wenige spätbarocke Komponisten, eben die hindu-mohamedanische Musik von Hindusthân, Carnâtic Musik sowie ethnische Musiken from all over the world. Und der bekennt, eine starke Abneigung gegenüber der romantischen Musik Europas und der „Jazz-rooted blues-American music“ zu haben. Eine, die bei weitem nicht nur geschmäcklerischer Natur ist (wiewohl natürlich: auch). Sondern, sagen wir mal so daher: ideologischer. Zumindest: theoretisch fundiert begründbarer.
Natur dabei natürlich in Anführungszeichen, also: kultürlich.
Das Kulturrettungs- bzw. besser Überleitungsprojekt von László Hortobágyi beruft sich dabei auf Vorgängerschaft, ganz in übertragenen Sinne natürlich, der Ernst hat hier seine ganz und gar nicht retrovertierte Doppelbödigkeit, wenn nicht gar einen historisierenden Futurismus (ein antagonistisches Wortpaar in Funktion), der zumindest auf eine Neuform weltumspannender Klanguniversen abzielt. Es ist also Vorsicht geboten, wer folgen will, geht auch über (ironisches?) Glatteis, mythologisch phantasievoll überfrorene Weg- wie Irrstrecke, in geistreicher Gipfelhangelei und erschöpfendem Talsohltheorietiefgang.

Historieneinblende:

Die ursprüngliche Gayan Uttejak Mandala Society wurde 1884 von Visnu Narayan Bhatkande (1860- 1936) gegründet und existierte bis 1917. Visnu Narayan Bhatkande schuf mit ihr für Indien, dessen Klassik an den Höfen der letzten Großmogule ihre letzte Hochzeit erlebte, erstmals ein Forum für die Transformierung der bislang ohne Notation und theoretische Texte auskommenden klassischen indischen Musik hindusthanischer Tradition, welche in oraler Überlieferung und weit in die Historie zurück reichenden Schüler-Meister-Abfolge-Ketten bis dato ein stetes Überleben gefunden hatte, also in Formen, die in der mehr und mehr durch den kolonialen Einfluss geprägten, sich also im westlichen Verständnis modernisierenden indischen Gesellschaft absehbar zum Sterben derartig vererbter Kultur führen würden. So sammelte er nun in dieser Korporation zahlreiche (oftmals muslimische) Musiker der Zeit um sich - Hortobagyi weiß von ihnen zu berichten, als gehörte es zum selbstverständlichsten Grundwissen, z.B.: „U.Tanras Kahn aus Hyderabad, Ustad Inayat Hussain aus Rampur (Schwiegersohn von Ustad Haddu Khan) Ustad Mohammad Rahmat Khan, Dhrupadiya, U Nissar Hussain Kann, Utad Nathan Khan, Ustad Aman Ali Khan...“ usw. zu kennen, genauso wie die verschiedenen Schulen, die Gharana´s, welche da zumeist auf familiärer Basis sich entwickel(t)en. Bhatkande nun tourte mehrfach quer durch Indien, besuchte Bibliotheken und jene Musikschulen, sammelte Material, klassifizierte Raga ´s und Khyal Kompositionen..., und entwarf schließlich eine moderne indische Musiktheorie inklusive Notationssystem. Zudem initiierte er die All Indian Music Conferences, von denen in der Zeit von 1916 bis 1925 fünf abgehalten wurden - deren Geschichte inklusive jenes absonderlich wirkenden Namedroppings von Hortobagyi eingängig im Booklet seiner CD „6th All Indian Music Conference“ (Erdenklang) dargelegt wird. Eine CD, die mit dem Gedanken einer imaginären Konferenz spielt bzw. eingespielt wurde. Eine CD, auf der imaginäre „Weltmusik“ gespielt wird, die sich in einer Zeitreise der verschiedensten historischen Stile, Techniken, Instrumentarien bedient. Eine, wie Hortobagyi sie nennt: „Musik für ein anderes 20. Jahrhundert“. Bzw. nunmehr: 21.Jahrhundert. Hauptsache: anders!
Eine andere Welt ist möglich (Zapatisten) / eine andere Musik ist möglich (Hortobágyi et alii)!

Laszlo Hortobágyi´ s Gayan Uttejak Society, zu der einige Jahre auch ein live agierendes siebenköpfiges Gayan Uttejak Orchestra gehörte, widmet sich nun seit 1981am Standort Budapest mit aller Kraft dem Studium und der Pflege klassischer indischer Musik, in Vorträgen und Schriften, durch das Anlegen eines privaten Archivs gesammelter Tondokumente- das einzige dieser Art in Osteuropa- und letztlich die Verarbeitung jener in oben angerissener technologisch fortgeschrittenster Weise. Eine Transformierung, die es aber eben nicht auf digital erschwindelten Authentizitätswert anlegt - denn authentisch sind lediglich die Quellen, da Kultur lebendig nur im Umfeld funktioniert -, sondern sich in gewisser Weise eine Superiorität der historisch weitaus gewachseneren asiatischen Musikkultur imaginiert als Gegenvision zur reellen amerikanisch-angelsächsischen Dominanzkultur aka POP, in Stellung gebracht mit teils ebenfalls verlorenen europäischen Musiktraditionen und noch anderen Beimengungen.
Auf der erwähnten „6th All Indian Conference“-CD läßt uns Hortobágyi an einer solchen Vision teilhaben, bei der: barocke Orgelmusik nach dem indischen Tala- System und mit verschiedenen Matrixkompositionen des Tintala Bass von Madhya Laya arrangiert wird; die traditionelle Sitar (der Gayaki Ang) als polyphone Harfensitar Kompositionen der nordindischen Vokalschule Kirana spielt, dabei von psychedelischem Reggaebass begleitet; wo orthodoxer slawischer Kirchenritualgesang in klassische indische Musik des Dhuprad Stils (Abhog, Sanhari etc.) gefügt wird; wo die repetive Gamelan Musik den Konstruktionen der instrumentalen Raga´s (Alap-Jhor-Jhalla) folgt, an klassische Elektronik Rock Konzerte in Java gemahnend; wo die Segmente des Chors einer Ostkirche in einer Chakradar-Tihai-Triplex-Konstruktion aufgehen, die nach den Kadenzen des Tala Systems geordnet ist; wo die traditionellen Tabla- Kompositionen vervollständigt werden mit Kayda-Variationen des Widwan Tala- Basses.
Soweit alles klar? Ich hoffe, Sie können folgen, ich bleibe zugegebenermaßen recht weit zurück - partiell jedenfalls -... aber das soll nicht entmutigen, ganz im Gegenteil, Anregung, Anreiz, Animierung ist des Artikels Grundanliegen, Anschlußhandlungen sind vorausgesetzt im progressiven Hoffnungsprinzip einer Appellation.
Wenn die obige Kulturteilchenballung es eventuell naheliegend erscheinen läßt, geht es hier aber eben bei weitem nicht um wilden Eklektizismus mit Selbstbefriedigungs-Freude am musikwissenschaftlich fundiert herleitbarem Detail, auch wenn es so klingt - manchmal auch musikalisch, wenn da gar über ein elektrifiziertes und dancebeat-getriebenes Raga mit Barockklangtouch ein Heavy Metal Guitarsolo hereinbricht, sei es als antipodischer Wahn oder aus Klangspaß heraus. Das ist, bei aller Experimentalität, bis ins Detail durchdacht, konzeptionell in Beziehung, strukturell eingepaßt bzw. passend, verweist auf Verwandtschaftsbezüge und Potentiale, partiell nie erfüllte, und bringt nicht zuletzt in dieser fruchtbaren Vision zugleich die unwiederbringlichen Verluste zu Ohr. Ein Mahner vom Rand des Marktes der globalen Musikalien, ein, um das geliebte Zonic-Grundmotiv aufzugreifen, existentiell erschütterter Stalker, der in tonale Zeitzonen dringt, um die Reste als Prinzip der Hoffnung und in Rückbezug auf die möglichst zeitgetreuen Traditionalitäten der Soundquellen zu einer neuartigen Synthese gebracht in den digitalen Kreislauf der Daten einzuspeisen. Ein Hoffnungsloser in gewisser Weise, Kulturpessimist, ja, aber dazu später.
Zurück noch einmal zum Stil: an Vielfalt zwischen den magischen Polen Dynamik und Harmonie mangelt es offenbar nicht, Dub spielt seine bassrollende Rolle effektreich wie strukturalistisch, nicht zuletzt arbeitet Hortobágyi nunmehr eng mit Suns of Arqa zusammen, die sich ja auch schon seit über 20 Jahren mit Indiensounds beschäftigen, und wie jene kennt er keine Scheu vor moderner Tanzkultur, was dann in gewisser Unweigerlichkeit auch bis zu Goa Trance führen mußte, zu hören auf „Sangeet Novus Sensus“ - wie all seine letzten Platten auch bei Arka Sound (/EFA) erschienen -, der vielleicht mit der größten Ballung an Wissen um indische Originalstruktur erstellten Goa-CD dieser Welt, eindeutig mehrdeutig mit „Music for Transociety“ untertitelt. Damit wird einer von ihm festgestellten „versteckten Tendenz“ der („weißen“) Musik des 20.Jahrhunderts entsprochen, nämlich dem „back to the roots“, was meint: zurück zum Rhythmus. Das ist so banal wie wichtig, im Sinne von ursprünglicher Gemeinsamkeit, metrisch geordnetem Urklang als allseitiger Ursprache. Retrovertiertheit ist Hortobágyi´s Sache jedoch eben nicht, im fortgeschrittenen Sinne von potentieller Entwicklung wäre ihm der „wahre Himmel“ eine Mischung von hochstrukturiertem polyphonem System von Intervallen in Kombination mit gut ausponderierter Polyrhythmik, die – natürlich - auf dem klassisch-indischen Tala-System basiert.
Warum aber nun vor allem und immer wieder Indiens Musikkultur? Hortobágyi:
„Die indische Musik erscheint als die mathematische Reinheit und das Himmelreich selbst. Wenn wir uns aber darin vertiefen, was eigentlich dieses phantastisch verfeinerte System deckt, können wir nicht viel Gutes sagen. Wenn man erzählt, wie herrlich die indische Musik ist, fällt mir dieser unglückliche Inder ein, der 1600 in einem Dorf ernsthaft glauben oder wissen konnte, dass er nur an einem einzigen Platz der Welt frei sein könnte: in sich selber, innen. Weil er nichts hatte: in den asiatischen Gesellschaften existierte das Eigentum nicht. Im Allgemeinen entsteht parallel mit dem Eigentum der Besitz, mit dem Besitz - ecce homo - die Persönlichkeit. In Indien gibt es keine Persönlichkeit, nur das "große Universum", wo wir alle Eins werden. Gleichzeitig kommt in Indien die furchtbarste der menschlichen Zusammenlebensarten zustande. Wir, -Einige- wissen heute schon, daß wir nicht einmal innen frei sind und für einen Europäer gebührt es sich, dies zu wissen. Für einen Yogi, also einen zeitgenössischen indischen Intellektuellen, war die größte Hoffnung, dass er irgendwie aus der Verkettung der Wiedergeburt austritt. Yoga ist ein phantastisches Mittel dafür, diese grausige Verkettung der Wiedergeburt zu besiegen. Deswegen hat es sich für den Yogi gelohnt, zum Preis von vierzig Jahre langen entsetzlichen Bemühung zu erreichen, auf diese Erde nie wiedergeboren zu werden. Das ist der Sinn der indischen Musik, darum geht es in der indischen Musik, diese Denkweise steht im Hintergrund. Deswegen - weil sie eine herrliche und ekstatische – eine wirkliche Musik ist.“

Attribute wie „schön, meditativ und frei“ und „sonstige Blödheiten“ wären daher strengstens abzulehnen. Hier geht es um Leiden, um vergebliche Transzendenzversuche, um existentialistische Überschreitung. „Hier geht es um Musik...“ (Andreas Dorau) - und die ist, wenn sie gut ist, auch immer traurig (so Schubert, so auch Hortobágyi). Zumindest: irgendwie, in einer tieferen Ebene, wenn sie beispielsweise auch in überschwänglichster Fröhlichkeit und Körperkraftverschwendungssucht (Disco) eigentlich auf die reale Unmöglichkeit eines entsprechenden Lebens verweist. Utopie ist traurig (weil fast ausgelöscht), gute Musik nach dieser Gleichung also immer utopisch (weil diese Auslöschung in verzweifelter Frage nach den Urwesentlichkeiten attackierend, zumindest aber auf jene verweisend).
Das lassen wir mal so im (Nicht-)Raum stehen...
Für Hortobágyi ist Musik jedenfalls: „Umgangssprache, Kollektivität, Ekstase und Tradition“.
In Tateinheit wohlgemerkt. Ein Komplex der Fast-Unmöglichkeit heutzutage.

Seiner Außenposition ist sich László Hortobágyi sehr bewußt, sie gehört zum gesteigerten Selbstbewußtsein, in der Undenkbarkeit der Überschreitung des derzeitigen Kapitalismus in seiner totalen durchökonomisierenden Global-Tendenz liegt die Verlustgewissheit, und er weiß wohl auch zu sehr um das zu Verlierende an Kulturen, um nicht in Pessimismus zu verfallen, einen, der allerdings einschließt, dass perspektivisch - und allein nur, um die mörderische Marktmaschine zu erhalten - das Nötige getan wird, die Erde irgendwie zu erhalten und auch dem Letzten eine Lebenschance als potentiellem Kunden zu geben, als letztlich größtes Problem für die Kultur schließlich die endgültige Sattheit, die allgemeine Overkill-Verstopfung prophezeiend, der die „wirkliche Krise“ folgen wird (einschränkend, das natürlich der Erste schon seine Sauna auf dem Mars nimmt, während andere auf der Erde teils noch von Brotkrumen träumen...).
Das eigene Wirken, Gegenwirken auch, ist dabei natürlich genauso von Problemen durchzogen, denn:
„Diejenigen, die versuchen indische Musik mit europäischer Musik zu vermischen, schaden diesen Kulturen eigentlich viel mehr, als wenn sie sie einfach vergessen würden. Von einer Kultur bleibt genau soviel übrig, wie der weiße Mensch davon versteht und das ist sehr wenig. Diese Welt ist aber auch gleichzeitig so, dass andere außer dem weißen Menschen die Sache nicht all zu sehr interessiert, sie haben nämlich noch weitere Aufgaben. Wenn wir nur soviel davon verstehen, dass z.B. die Flöte bei den südamerikanischen Ketschuanern ungefähr so und so hätte erklingen können und das jetzt auf dem Computer reproduzieren, dann ist es wie das Original und dennoch nur äußerst wenig. Denn das ist leider nicht das Original, weil zum Original auch dieselbe Umgebung, dieselbe Gesellschaft, dasselbe Relationssystem und dieselbe Kultur nötig ist, dass sich die Flöte genauso biegt, so erklingt, so spuckt und so falsch wird, wie das die Indios damals geblasen haben.“

Die ungeheuren Möglichkeiten der digitalen Moderne machen hier mehrfach schaudern. Zum einen ob des Wahns, der einen der unvergleichlichen Machbarkeiten befallen könnte, für die es aber gar keine kulturellen Konventionen, also eine Art Umgangssprache, mehr zu geben scheint, zum anderen, weil der Marktwert der technischen Grundlagen - ein neuer Prozessor, ein Programm...- den der musikalischen Resultate, die da aus dem Gayan Uttejak Studio kommen, immer bei weitem übertreffen wird, welche nun eigentlich völlig überflüssig – im Marktsinne - in ein unüberschaubares Meer von Musik gegossen werden, das da nicht nur von der westlichen Popproduktion angefüllt wird, sondern eben auch von Millionen verwässerter Derivate von traditionellen Kulturen der „Restwelt“. Für Hortobágyi ist es zudem geradezu höllisch, dass ihn der Computer in die Lage versetzt (kombiniert natürlich mit seinen jahrzehntelangen Studien...), beispielsweise innerhalb eines halben Jahres ein Stück zu programmieren, für das ein indischer Musiker etwa 20 Jahre lernen müßte, wollte er es auch spielen können - während der Computer dies, so gut programmiert, per Knopfdruck leistet. „Neuzeitliche musikalische Kolonialisierung“ nennt er das, und er ist sich sicher, dass er Hass ernten würde, sollte er dies indischen Musikern vorspielen und erklären, dass sie statt einem verehrungswürdigen und in höchster Vollkommenheit tradiert geschultem Künstler einer Maschine zuhörten, denn er würde etwas wegnehmen, wofür jene hart arbeiten müßten. Ist das die Unerbittlichkeit des Fortschritts (so called), fragt es sich da achselzuckend... - „ich kann im Fortschritt keinen Fortschritt sehen“ (Blumfeld).

Das die Potentiale der Technologien sich (noch?) nicht in einer unvergleichlich reichen neuen Musik niederschlagen, die da mit dem Archiv aller Zeiten und Kulturen kreativ arbeitet, liegt in der gesellschaftlichen Bedingheit begründet, für László Hortobágyi ist das, was wir hier zumeist hören müssen, eben der „Klang der "reichen" Einsamkeit“, die systemintegrale Unfähigkeit, in einer oberflächlichen Kultur das uralte Elend der Menschen in großartige Neu-Sounds zu überführen.

Reste von Hoffnung (man denke an das Caspar David Friedrich-Bild..) splittern sich aber dennoch in die (üppige) Wüste, schließlich wird es immer Gestalten wie Hortobágyi geben, die am Rande eifrig vor sich hin wuseln (viele Aspekte der versessenen Eifrigkeit in ihrer Detailliertheit mußten hier vernachlässigt werden), ein Rand, der zudem potentiell immer über funktionierende Mißverständnisse in den hilflos nach verkäuflichen Neuwerten (neue Reize!!!) gierenden Mainstream eingespeist werden könnte (sind das dann schon die „Dangerous Crossroads“, von den George Lipsitz so spannend schreibt?), ein relativer Rand also, ein Rand in Vereinnahmungsgefahr.
Pessimismus haben wir schon genug, ich sowieso. Ein Grund zum Aufgeben ist das wohl noch lange nicht, die Fruchtbarmachung des Unbehagens heißt die Aufgabe!
Also: WEITER.
Heißt in diesem Falle: checkt www.el-horto.hu – Material galore zum Vertiefen (u.a. auch die zwei Interviews in Vollständigkeit, aus denen alle obige verwendeten Zitate stammen).

& hört Hortobágyi (zu).
Es lohnt sich (mehrfach).

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